Notfall: Nicht «für Pickel am Po der Kinder» gedacht

Deutsche Kinderärzte wollen, dass Eltern zahlen, wenn sie unnötig in den Kinder-Notfall kommen.

, 9. August 2023 um 05:32
image
Deutsche Kinderärzte wollen mehr Zeit für die wirklich dringenden Kinder-Notfälle. Deshalb sollen Eltern bei unnötigen Fällen eine Gebühr zahlen. | Secreenshot «Die Welt»
Der Kinderarzt Thomas Fischbach nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er sich zu überlasteten Kinder-Notaufnahmen äussert: «Die Notfallversorgung muss auf Notfälle konzentriert werden und nicht für die Pickel am Po der Kinder, für die die Eltern unter der Woche keine Zeit haben», sagte Fischbach gegenüber der «Neuen Osnabrücker Zeitung».

Zu viele unechte «Notfälle»

Er ist Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte und fordert nun in gewissen Fällen eine Gebühr für Kinder-Notfallbehandlungen. Die Notfall-Aufnahmen würden immer wieder von nicht dringend handlungsbedürftigen Fällen in Anspruch genommen. Bei echten Notfällen, so Fischbach, könnten die Kosten zurückerstattet werden.
Fischbach kritisierte auch Reformpläne der Regierung für die Notfallversorgung. Bisher töne es ihm zu sehr nach: Kommt alle zu uns, die ihr mühselig und beladen seid, wir werden euch helfen!

Angst vor Personalmangel

Die Regierung zieht ausserdem in Betracht, nur Fachärzte und nicht auch Ärzte mit hinreichender Weiterbildung die Notfallversorgung übernehmen zu lassen. Dann gäbe es noch weniger Fachpersonal, warnt Fischbach.
Es brauche klarere Regeln für die Patientensteuerung. Die nicht dringenden Fälle müssten konsequent an die Praxen verwiesen werden, anstatt sie in die Notfallzentren zu lassen.

Ärzte sind gespalten

Bei den Ärzten kommt Fischbachs Forderung unterschiedlich an. Viele Notfallärzte wollen keinen Notfalldienst mehr leisten. Weil sie oft zu wenig damit verdienen.
Ein Notfallarzt schildert, dass er sich auch schon geweigert habe, den Schein für einen Notfall-Transport zu unterschreiben, weil sich Leute «wegen zweier Espressi übel gefühlt hatten oder das vierjährige Kind zu Hause gestürzt war und keinerlei Symptome aufgewiesen habe. Damit habe er sich aber auch schon Drohungen eingehandelt, dass Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erhoben werde.

Zu spät zum Arzt

Andere Ärzte wollen die Notfallversorgung jedoch keinesfalls einschränken. Sie fürchten, dass die Eltern zu spät zum Arzt gehen würden, wenn sie dafür zahlen müssten. Es müsse eher korrekt gefiltert und gelenkt werden.

Gebühr «unethisch»

Auch der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lehnt eine «Strafgebühr» für Eltern ab, die ohne akuten Bedarf mit ihren Kindern den ärztlichen Notdienst aufsuchen. Eine solche Gebühr sei «unethisch». Ausserdem gefährde sie Kinder, deren Eltern nicht die Mittel hätten, das zu bezahlen, so Lauterbach.

«Missstände bei den Ärzten»

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, dass Mediziner, welche eine solche Gebühr forderten, nur von Missständen in den Praxen ablenken wollten. Dort sinke die Erreichbarkeit, und der Dienstleistungscharakter nehme zunehmend ab.

In der Schweiz sollen es 50 Franken sein

Wer den Spitalnotfall aufsucht, soll 50 Franken bezahlen. Diese Forderung gibt es in der Schweiz schon seit mehreren Jahren. Doch wer professionell mit Notfällen zu tun hat, lehnt eine solche Gebühr meistens ab, wie Medinside berichtete. Der Grund: «Diese Gebühr trifft die Falschen, zum Beispiel chronisch Kranke oder ärmere und ältere Menschen», erklärte vor einigen Monaten die Schweizerische Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR). Zudem müsste der unklare Begriff Bagatellfälle genauer definiert werden, was kaum machbar sei.
Im Gegensatz zu Deutschland, wollten Politiker allerdings Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ausdrücklich von der Gebühr ausnehmen; ausserdem alle Patienten mit ärztlicher Zuweisung oder einer nachfolgenden stationären Behandlung.

  • spital
  • notfall
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Notfall-Pauschalen: Swiss MediKids findet einen Ausweg

Nach dem Bundesgerichts-Urteil sichert sich die Praxisgruppe die Zukunft dank Abkommen mit grossen Kassen: Diese decken 70 Prozent der ausfallenden Notfallpauschalen.

image

Gesundheitsfördernde Materialien gesucht?

Die Wahl passender Materialien ist bei Neu- und Umbauten eine grosse Herausforderung – auch im Gesundheitsbereich. Denn diese müssen unterschiedlichen und hohen Anforderungen gerecht werden. Nicht immer ist das jahrelang Eingesetzte die beste Wahl und neue Alternativen haben es schwer.

image

Spitäler Schaffhausen: Gesamterneuerung teurer, Kosten bei 330 Millionen Franken

Dabei soll der Kanton insgesamt 130 Millionen Franken beitragen.

image

Nachhaltiger Neubau in Arlesheim: Fast alles aus Holz

Der Neubau der Klinik Arlesheim setzt auf nachhaltigen Holzbau. Mit modernster Architektur und ökologischen Materialien entsteht ein einzigartiges Gebäude, das Gesundheit und Umwelt vereint. Ein Projekt, das für die Zukunft der medizinischen Versorgung steht.

image

Und noch ein Notfall steht auf der Kippe

Im Hausarzt-Notfall Seeland haben über ein Viertel der Ärzte gekündigt – «aus Frustration».

image

Notfallpauschalen: Politiker machen Druck auf Versicherer

Im Ständerat fordert eine erste Motion höhere Tarife für Notfalleinsätze und Permanencen.

Vom gleichen Autor

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Pflegefachleute verschreiben so sachkundig wie Ärzte

Das dürfte das Pflegepersonal freuen: Es stellt laut einer US-Studie genauso kompetent Arzneimittel-Rezepte aus wie Ärzte.

image

Temporär-Arbeit in der Pflege: Ein Angebot mit Haken

Es gibt gute Gründe für Pflegefachleute, sich nur noch temporär anstellen zu lassen. Aber es gibt auch ein paar gute Argumente dagegen.