Packungsgrössen und Milliardenverluste: Die endlose Debatte um Medikamentenabfall

Die Gesundheitskommission des Ständerats hat an ihrer Sitzung zwei Motionen gutgeheissen, die der Medikamentenverschwendung Einhalt gebieten soll. Es ist der x-te Anlauf.

, 15. Oktober 2024 um 08:00
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Screenshot: SRF
Niemand hat ein Interesse an der Verschwendung von Medikamenten - vielleicht mit Ausnahme der Pharma-Industrie. Daher ist es zumindest auf den ersten Blick kaum verwunderlich, dass die ständerätliche Gesundheitskommission an ihrer letzten Sitzung eine entsprechende Motion zur Annahme empfiehlt, die diesem Malaise zu Leibe rücken will. Auch der Nationalrat unterstützte in der zurückliegenden Sommersession den Vorstoss.

Schon wieder ein Bericht

Die Motion verlangt vom Bundesrat, über die Art und das Ausmass der Medikamentenverschwendung einen Bericht zu erstellen sowie Massnahmen dagegen zu ergreifen.
Auf den ersten Blick erstaunt die Unterstützung dieser Motion nicht - auf den zweiten hingegen schon.
Denn man muss wissen: Ein im Juni 2014 eingereichtes Postulat verlangt genau dasselbe: Stopp der Medikamentenverschwendung. Der Bundesrat hat im November 2022 das von der damaligen CVP, heute Mitte-Fraktion, mit einem 25-seitigen Bericht erfüllt.

4 Milliarden Franken

Thomas Rechsteiner ist Nationalrat der Mitte-Partei. In der Debatte vom 30. Mai 2024, bezog er sich auf eine Sonderabfallstatistik des Bundesamts für Umwelt. Danach wurden im Jahr 2022 in der Schweiz 4800 Tonnen Altmedikamente entsorgt, entsprechend einem Wert von 4 Milliarden Franken pro Jahr.
Warum braucht es einen zusätzlichen Bericht, wenn doch der Bundesrat einen solchen im November 2022 eben erst publiziert hat? Warum braucht es aufwendige Studien, wenn es schon klar ist, dass der Preis der Verschwendung in die Milliarden geht? Ist es denn relevant, ob die Kosten der Medikamentenverschwendung, zwei, vier oder eventuell gar zehn Milliarden betragen? Handeln muss man so oder so.

Wer wirft wieviel weg?

Nach Auffassung von Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner soll der Bundesrat mit dem Bericht Klarheit schaffen, welche Medikamente in welchen Mengen und aus welchem Abgabekanal entsorgt werden. Ob aus einem Spital, einem Pflegeheim, einer Apotheke, einer Drogerie oder etwas Ähnlichem - entsorgt werden.
«Wir benötigen diese Zahlen, um das Richtige gegen diese Verschwendung zu tun.»
  1. zur Menge und Art der Medikamente;
  2. zum Ablaufdatum;
  3. zur Haltbarkeit;
  4. zum Restinhalt;
  5. zur Verschreibungspflicht, ob sie gegeben ist oder nicht;
  6. auch noch zur Frage, ob es sich um eine Pflichtleistung der Krankenversicherung handelt.
Die Antwort auf diese Fragen bleibt der Bundesrat in seinem Bericht vom November 2022 schuldig. Er sagt, die fehlende Wissensgrundlage über das Ausmass der Arzneimittelverschwendung sei «nur unter sehr grossem Aufwand anhand unterschiedlicher empirischer Zugänge zu verbessern.»

Packungsgrösse

Der Bundesrat sagt aber auch: der Handlungsbedarf sei erkannt. Es sei aber zielführender, den eingeschlagenen Weg zu einer effizienteren, effektiveren und somit zu einem kostengünstigeren Umgang mit Arzneimitteln fortzuschreiten.
In der Sommeression verwies Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider noch auf eine andere Motion, die nicht von einer Person, nicht von einer Fraktion, sondern von der nationalrätlichen Gesundheitsdirektion eingereicht wurde und deshalb ein grösseres Gewicht hat.
Bei dieser Kommissionsmotion mit dem sperrigen Titel: «Den Verwurf aufgrund von ungeeigneten Packungsgrössen oder Dosisstärken bei den Medikamentenpreisen berücksichtigen» gehts darum, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit Packungsgrössen, Dosisstärken oder Darreichungsformen so definiert werden, dass kein Medikamentenverwurf entsteht.
Ob damit der Verschwendung von Medikamenten beizukommen ist? Sicher ist: Es wird noch viel Wasser und schlimmstenfalls Restbestände von Arzneimitteln die Aare runterfliessen, ehe die gesetzliche Grundlage in Kraft tritt - wenn überhaupt. Und das für ein Problem, das seit Jahrzehnten bekannt ist.

Problemzone Medikamente - an Vorstössen fehlt es nicht

Motion Diener: «Vertriebsanteil bei den Medikamentenkosten» (Thema: preisunabhängige Vertriebsmarge; Ablehnung durch den Bundesrat, vom Parlament überwiesen);
Motion Humbel: «Einsparpotenzial bei der Medikamentenversorgung» (Thema: Differenzierung der Margen in den Vertriebskanälen, Verbesserung der Compliance; Ablehnung durch den Bundesrat, die Motion wurde abgeschrieben);
Postulat Maury Pasquier: «Kostengünstige Medikamente. Medikamente nutzen, solange sie tatsächlich genutzt werden können» (Thema: Verfalldaten; Ablehnung durch den Bundesrat, vom Parlament überwiesen. Der Auftrag wurde durch Bericht des Bundesrates vom 18. Juni 2010 erfüllt);
Motion Rossini: «KVG. Absurde Anreize bei der Medikamentenabgabe» (Thema: Differenzierung der Margen in den Vertriebskanälen; Ablehnung durch den Bundesrat, die Motion wurde zurückgezogen);
Postulat Humbel: «Positionierung der Apotheken in der Grundversorgung» (Thema: Verbesserung der Compliance; Annahme durch den Bundesrat, vom Parlament überwiesen);
Motion der FDP-Liberalen Fraktion: «Bessere Betreuung und mehr Effizienz im KVG» (Thema: Verbesserung der Compliance; Ablehnung durch den Bundesrat, vom Parlament überwiesen);
Interpellation von Siebenthal: «Verschreibung von Medikamenten. Selbstdispensation» (mit der Antwort des Bundesrates erledigt);
Postulat Tornare: «Einzelverkauf von Medikamenten. Verschwendung reduzieren» (Thema: Abgabe von Einzeldosen; Ablehnung durch den Bundesrat).

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