Unsere Gesundheitsversorgung ist auf einem hervorragenden Stand. Patientinnen und Patienten profitieren von einem hohen Qualitätsniveau und einer zeitgerechten Versorgung. Allerdings steigen die Kosten, was auf der politischen Ebene den Handlungsdruck erhöht. Die Entwicklung birgt die akute Gefahr, dass auch unreife Lösungsvorschläge auf den Tisch kommen. So werden zum einen funktionierende Teile der medizinischen Versorgung gefährdet und zum anderen eine Kaskade weiterer Korrektureingriffe ausgelöst.
Eine solche Entwicklung zeigt sich zurzeit im Kanton Zürich. Die vorgesehene Änderung des Spitalplanungs- und Finanzierungsgesetzes riskiert, die hochstehende medizinische Versorgung zu beeinträchtigen. Die Qualität des Gesundheitsstandorts Zürich wird in Mitleidenschaft gezogen. Wie die Vernehmlassung zeigt, hat dies ein grosser Teil der medizinischen Leistungserbringer und der politischen Parteien erkannt. Der Gesetzesvorschlag wird von breiten Kreisen als zu interventionistisch kritisiert. Es ist nun an der neuen Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli, die richtigen Schlüsse aus der Kritik zu ziehen.
Es profitieren alle
Heute operieren sowohl in öffentlichen als auch in privaten Spitälern viele Spezialisten, die eine eigene Praxis betreiben und viel Erfahrung in ihrem Fachgebiet besitzen. Als selbständige Kleinunternehmer übernehmen Belegärzte Verantwortung für ihre Patientinnen und Patienten – und zwar über den ganzen Behandlungsprozess. Von den Leistungen der Belegärzte profitieren alle. Nicht die Privatversicherten, sondern die Grundversicherten machen die Mehrheit der Patientinnen und Patienten von Belegärzten aus.
Das neue Gesetz sieht eine «uneingeschränkte Weisungsbefugnis» des Spitals vor. Die Revision wäre ein klarer Bruch mit dem bewährten Belegarztsystem. Spitäler könnten gemäss Gesetzesentwurf ihre Leistungsaufträge nicht mehr mit freischaffenden Belegärzten erfüllen. Alle operierenden Ärzte müssten quasi in einem anstellungsähnlichen Verhältnis zum Spital stehen. Für die Patientinnen und Patienten hätte dies einschneidende Konsequenzen. Sie könnten in öffentlichen Listenspitälern bei Operationen nicht mehr auf den Belegarzt ihres Vertrauens setzen.
Doch die Belegärzte garantieren mit ihrer Person und ihrem persönlichen Ruf eine qualitativ hochstehende Behandlung. Sie ziehen die erforderlichen Fachleute bei und sorgen für den raschen Zugang zu notwendigen Eingriffen. So werden quälende Wartezeiten vermieden. Und der einzelne Mensch ist nicht einer Bürokratie ausgeliefert. Es wird ihm nicht einfach im Spital ein Arzt zugeteilt. Diese Wahlfreiheit gilt unabhängig vom Versicherungsstatus auch für Grundversicherte. Belegärzte sind allein ihren Patientinnen und Patienten verpflichtet und unabhängig von den Interessen der einzelnen Spitäler. Die Patientinnen und Patienten können sich darauf verlassen, dass sich ihr Arzt des Vertrauens im Spital für sie einsetzen wird. Mit dem Belegarztsystem haben sie eine echte Wahlfreiheit. Diese Vorteile wissen die Patientinnen und Patienten sehr zu schätzen.
Angesichts der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen sind alle Akteure gefragt. Und es ist richtig, wenn Gesundheitsbehörden und Krankenkassen überbordende Honorare von Ärzten kritisieren. Überall gibt es schwarze Schafe. Vieles ist jedoch bereits gewonnen, wenn die Ärzteschaft selbst die Transparenz erhöht. Dazu gehört die offene Kommunikation von Qualitätskriterien. Wer jedoch meint, mit der Zerstörung der persönlichen Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient liesse sich Geld sparen, ist auf dem Holzweg.
Erfahrene Spezialisten
Die Schweiz braucht auch in Zukunft erfahrene Spezialisten, die als Belegärzte in Spitälern operieren. Ausserhalb der städtischen Zentren können Spitäler oft nur dank Belegärzten gewisse medizinische Leistungen auf hohem Niveau überhaupt anbieten. Wird das Belegarztsystem abgeschafft, sinken die medizinische Qualität und die persönliche Betreuung. Die neue Regelung betrifft nicht primär Privatpatientinnen und -patienten. Betroffen von der Einschränkung der freien Arztwahl bei Spitalbehandlungen sind ganz besonders Grundversicherte. Während Privatversicherte in ein Vertragsspital ausweichen können, ist den Grundversicherten dieser Weg oft verwehrt.
Das bewährte und gut eingespielte Belegarztsystem würde stillschweigend geopfert. Und die Spitäler selbst würden gegenüber dem Kanton stark an Handlungsfähigkeit verlieren. Insgesamt sind die Vorschläge sehr zentralistisch und bedeuten einen grossen Schritt in Richtung Staatsmedizin. Mit der neuen Regelung wird mit Sicherheit nichts gespart – im Gegenteil: Abnehmende medizinische Qualität sowie lange Wartezeiten kommen die ganze Gesellschaft teuer zu stehen und sind den Patientinnen und Patienten schlicht nicht zuzumuten.
Dieser Gastbeitrag erschien auch am 13.9.2019 in der NZZ. Atul Sukthankar ist Präsident der Zürcher Belegärzte.