Sind Medikamente aus der Gruppe der ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker schuld daran, dass viele Herz-Kreislauf-Patientinnen und -Patienten einen schweren Covdi-Verlauf erleiden?
Diese Frage verunsichert seit Monaten Fachkräfte und Patienten gleichermassen. Immerhin gehören ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker zu den weltweit am meisten verordneten Arzneimitteln. Sie werden unter anderem zur Therapie des arteriellen Bluthochdrucks, der Herzschwäche und des Diabetes mellitus eingesetzt.
Das Problem: Die Medikamente greifen in das Renin-Angiotensin-System ein und regulieren den ACE2-Rezeptor hoch. ACE2 dient dem Coronavirus wiederum als Eintrittspforte in die menschliche Zellen; die Hypothese: mehr Rezeptor, mehr Virus.
Forscher gehen «dringender Frage» nach
Deshalb gingen Forscher der Medizinischen Universität Innsbruck sowie des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München der Frage nach, ob sich das zeitweise Absetzen der Medikamente positiv auf den Verlauf von COVID-19 auswirkt oder nicht.
«Es bestand in der Fachgemeinschaft Konsens, dass nur kontrollierte, randomisierte Interventionsstudien diese dringende Frage klären können», lassen sich die beiden verantwortlichen Studienautoren Axel Bauer, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Medizin Uni Innsbruck, und Steffen Massberg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am LMU Klinikum, in der
Medienmitteilung zitieren.
Tests dauern elf Monate
Zwischen April 2020 und Februar 2021 wurden im Rahmen der Studie «ACEI-COVID-19» 204 Teilnehmende ausgewählt, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten und zudem unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung litten. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Während die eine Gruppe die Blutdrucksenker für 30 Tage absetzte, nahm die andere Gruppe sie weiter ein. Um allfällige Effekte zu erfassen, wurde bei allen Probandinnen und Probanden täglich alle relevanten Organfunktionen durch standardisierte Tests bestimmt.
Schnellere Genesung ohne Medikamente
Das Absetzen der Medikamente hatte auf die maximale Schwere der Erkrankung keinen Einfluss, heisst es im Communiqué. Allerdings gab es Hinweise darauf, dass sich Patienten, die ein Pause von den Medikamenten machten, rascher und besser erholten. Nach 30 Tagen wurden in der Gruppe ohne Blutdrucksenker nur noch halb so viel Organschädigungen festgestellt wie in der Kontrollgruppe.
«Im Gegensatz zu bisherigen Studien, die deutlich jüngere Patientinnen und Patienten eingeschlossen haben, liefert unsere Studie erstmals Hinweise, dass gerade ältere, vor erkrankte Personen von einem zeitweisen Pausieren einer Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern profitieren könnten», erklärten Axel Bauer und Steffen Massberg.
Warnung der Wissenschaftler
Die Forscher warnen jedoch davor, die Erkenntnisse zu verallgemeinern: «Es kann im Einzelfall sinnvoll sein, eine Therapie im Rahmen einer akuten COVID-19 Erkrankung zeitweise auszusetzen. Die Entscheidung muss jedoch ärztlich getroffen werden. Hierbei gilt es, die Indikation für die Medikamente, die Verfügbarkeit alternativer Therapien und ambulanter Überwachungsmöglichkeiten sorgfältig zu berücksichtigen. In jedem Fall ist es wichtig, dass mit der Einnahme der wichtigen Medikamente nach überstandener Erkrankung auch wieder begonnen wird.»
Die Studien-Ergebnisse der Medizinischen Universität Innsbruck und des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München wurden im Fachjournal The Lancet Respiratory Medicine veröffentlicht. Between April 20, 2020, and Jan 20, 2021, 204 participants were randomly assigned to discontinuation (n=104) or continuation (n=100) of RAS inhibition.