Der Preis der 12-Stunden-Schichten

Ein erheblicher Teil des Spitalpersonals findet ein Zweischichten-System ganz praktisch. Doch offenbar grassieren bei so langen Präsenzzeiten verstecke Probleme – tiefere Arbeits-Zufriedenheit, mehr Fluktuation, Burnout. Es gibt neue Daten dazu.

, 21. September 2015 um 07:02
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Symbolbild: Vladimir Fedotov on Unsplash
Bekanntlich herrscht eine gewisse Uneinigkeit innerhalb des Medizinpersonals: Ein grosser Teil erachtet lange Schichten beziehungsweise Präsenzzeiten als ärgerlich, über-anstrengend und auch unseriös. Ein bemerkenswerter Teil schätzt jedoch eine Zweischichten-Struktur – weil sie auf der anderen Seite attraktive Kompensations-Blöcke bieten kann. 
Die Frage wird insbesondere bei Assistenz- und Oberärzten debattiert, doch sie betrifft natürlich auch andere Bereiche, insbesondere das Pflegepersonal.
Wie heikel sind 12-Stunden-Tage also wirklich? Dies eruierte nun eine äusserst umfassende Erhebung von Forschern aus vier Ländern. 

Die Stimmen von 31'000 Pflegeprofis

Befragt wurden Pflegefachleute in zwölf europäischen Staaten – darunter der Schweiz –, wobei in jedem Land die Angestellten von mindestens dreissig Spitälern befragt wurden. Am Ende flossen die Stimmen von über 31'000 Personen ein; im Schnitt waren die Befragten 38 Jahre alt.
Die Pflegeprofis wurden befragt nach Schichtlängen und Überstunden, nach Zufriedenheit und nach Burnout-Indikatoren (mit den Masstäben des Maslach Burnout Inventory); aber auch nach der Absicht, die aktuelle Stelle innerhalb der nächsten zwölf Monate zu kündigen.
  • Chiara Dall'Ora, Peter Griffiths, Jane Ball et. al., «Association of 12 h shifts and nurses’ job satisfaction, burnout and intention to leave: findings from a cross-sectional study of 12 European countries», in: «British Medical Journal – BMJ Open», August 2015.
Schlecht waren die Ergebnisse eigentlich nicht. Denn zum einen zeigte sich doch eine erhebliche Zufriedenheit mit dem Job: Bloss etwas mehr als ein Viertel der Befragten äusserten sich «ein bisschen» oder «sehr unzufrieden» mit ihrer beruflichen Situation – was heisst, dass eine satte Mehrheit ihrer beruflichen Lage gute Noten gibt.
Insgesamt wendete sich jedoch das Bild zum Schlechteren, wenn die Befragten vor der Befragung in Schichten von 12 Stunden und mehr gearbeitet hatten. Hier zeigten sich 40 Prozent unzufrieden – und auch bei anderen Punkten waren die Werte düsterer:
  • Die Quote jener, die demnächst kündigen wollten, war um 31 Prozent höher als bei ihren Kolleginnen und Kollegen, deren gewohnte Schichten 8 Stunden dauerten.
  • 10 Prozent zeigten in allen drei Burnout-Dimensionen an (emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung, Leistungsfähigkeit); und ein Viertel bei mindestens einem Punkt.
«Wir fanden heraus», so denn ein Fazit der Autoren, «dass Schichten von 12 oder mehr Stunden einhergehen mit mehr Burnout-Berichten, höherer Unzufriedenheit im Job, weniger Zufriedenheit mit der Arbeitszeit-Planung und einer stärkeren Kündigungsabsichten.»
Zu erwähnen ist, dass nur ein kleiner Teil der Pflegerinnen und Pfleger tatsächlich in einem Zweischicht-Betrieb arbeiten: Der Anteil machte in diesem Sample 15 Prozent aus. Die Schweiz lag dabei etwa im Schnitt – hier arbeiten 10 Prozent des Pflegepersonals am Tag (und 15 Prozent in der Nacht) in Schichten von 12 Stunden und mehr; knapp drei Viertel bleiben indessen im Rahmen von 8 bis 10 Stunden. 

Ein Randproblem? Wohl kaum

Man könnte sich also damit beruhigen, dass hier ein Randproblem aufscheint. Die Autoren sehen ihre Ergebnisse aber auch als Warnung – vor dem Hintergrund, dass in diversen Ländern offenbar ein Trend zu längeren Schichten herrscht; ein Trend, der stark getragen wird durch entsprechende Wünsche des Personals.
In der Schweiz wiederum dürften die Ergebnisse interessant sein, weil doch anzunehmen ist, dass die geschilderten Verhältnisse auch für Assistenzärzte gelten.
«Vielleicht ziehen es viele Pflegerinnen und Pfleger vor, nur drei 12-Stunden-Schichten pro Woche zu arbeiten», lautet denn ein abschliessender Kommentar der Studie. «Aber dies geht offenbar auf Kosten ihres psychologischen Befindens.» Die Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass damit diverse Konsequenzen von Burnout verbunden sind – etwa eine schlechtere Qualität der Arbeit, mehr Absenzen und mehr Kündigungen.
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