Dürfen Packungsbeilagen einen Meter lang sein?

95 Zentimeter lang und 40 Zentimeter breit ist der Beipackzettel zum Entzündungshemmer Simponi. Swissmedic sagt, warum das Papier so gross sein muss.

, 2. März 2022 um 05:00
image
  • medikamente
  • swissmedic
Beipackzettel von Medikamenten, die in der Schweiz verkauft werden, müssen strenge Bedingungen erfüllen – aber eine Limite für deren Grösse gibt es nicht. Das hat zur Folge, dass es Beipackzettel gibt, die aufgefaltet fast einen Meter lang sind.

Vielleicht verstehen gar nicht alle Menschen die Informationen

Beispiel: Der Entzündungshemmer Simponi. Die Packungsbeilage zu diesem Medikament muss häufig von älteren, kranken Menschen gelesen und verstanden werden. Deshalb stellt sich die Frage: Ist das bei so einem grossen Beipackzettel überhaupt noch möglich?
Unter Umständen nicht, räumt Swissmedic auf Anfrage von Medinside ein. Swissmedic überprüft bei jeder Packungsbeilage, ob sie den Anforderungen der Arzneimittel-Zulassungsverordnung (AMZV) entsprechen.

Fachausdrücke nicht erlaubt

Die Packungsbeilage von Simponi ist offenbar nicht zu beanstanden. So gross sei sie vor allem, weil die Bedienungsanleitung zur Selbstinjektion des Medikaments einen grossen Teil in Anspruch nehme, erklärt Swissmedic-Sprecher Alex Josty. Er sagt weiter: «Die Anwendung dieses Arzneimittels ist relativ komplex und setzt mündige Patienten voraus. Bei Älteren und Gebrechlichen ist die Selbstanwendung eventuell nicht angezeigt.»
Swissmedic berücksichtige aber bei der Beurteilung der Beipackzettel sehr wohl auch die Fähigkeiten der Patienten, das Geschriebene aufnehmen zu können. So ist auf Fachausdrücke und Fremdwörter, die dem Laien nicht geläufig zu verzichten. Auch Werbeaussagen sind nicht erlaubt.

Drei Sprachen und nicht zu kleine Schrift

«Wichtig ist, dass alle für die Patienten wichtigen Informationen aus der Fachinformation in laienverständlicher Form in der Patienteninformation abgebildet ist. So dass mündige Patienten informiert sind», erläutert Alex Josty.
Aber nicht nur das. Die Packungsbeilagen sind bis ins Detail geregelt: Sie müssen in den drei Amtssprachen vorliegen. Ausserdem darf die Schriftgrösse nicht kleiner als 8-Punkt sein.

Noch nie einen Zettel gekürzt

Josty bestätigt aber auch: Eine Beschränkung der Grösse der Packungsbeilage ist nicht vorgesehen. Ob ein so riesiger Beipackzettel wie bei Simponi nicht a priori so abschreckend sei und das Risiko deshalb gross, dass er gar nicht gelesen werde, dazu kann Swissmedic keine Aussage machen. Bisher hat Swissmedic aber noch nie einen Beipackzettel kürzen lassen oder als unzumutbar für die Anwender zurückgewiesen.
Medinside fragte deshalb nach: Könnte man die Hersteller dazu verpflichten, dass die Anwendung eines Medikaments so einfach sein muss, dass diese auf einem kleinen Beipackzettel beschrieben werden kann? Dazu sagt Josty: «Uns sind entsprechende internationale Bestrebungen in diese Richtung bekannt, welche wir beobachten.»

Mit Stichworten abrufbar

Zwischenzeitlich bemüht man sich auf andere Weise, den Patienten den Zugang zu den Arzneimittelinformationen zu vereinfachen. So gibt es in Deutschland zum Beispiel die App «Dabeipackzettel». Dort sind die Informationen von Beipackzetteln schnell abrufbar. Mit Stichworten wie «Nebenwirkungen» oder «Schwangerschaft» kommt man sofort zum richtigen Abschnitt.
Mitentwickelt hat dieses App der Apotheker Jochen Meyer. Er befürchtet, dass jeder fünfte Arzneimittelkäufer die Packungsbeilage nicht lese und jeder vierte die Medikamente falsch anwende. Er kritisiert dafür die Hersteller, welche die Zettel formulieren: «Dafür, dass Beipackzettel im Prinzip die wichtigste Schnittstelle zu den Patienten sind und gleichermassen zur Aufklärung, als auch zur juristischen Absicherung dienen, sind sie einfach unfassbar unverständlich, unleserlich und einfach nicht mehr zeitgemäss.»

Besser auffindbare Information

Auch in der Schweiz sind die Packungsbeilagen im Internet auf der frei zugänglichen Arzneimittelinformation (Website: swissmedicinfo.ch) abrufbar. Man gelangt dort direkt zu den einzelnen Kapiteln - beispielsweise zum Abschnitt «Welche Nebenwirkungen kann Simponi haben?» Im Fall von Simponi trägt dies aber nur wenig zum erleichterten Verständnis bei – denn unter diesem Abschnitt sind nahezu 100 Nebenwirkungen aufgeführt. Diese Informationen haben eine Spaltenlänge von 50 Zentimetern – in allen drei Landessprachen sind das alles in allem 150 Zentimeter Text.

Vielleicht nochmals lesen?

Gut, findet sich auf der Packungsbeilage auch noch folgender Hinweis: «Bewahren Sie die Packungsbeilage auf. Sie werden sie vielleicht später nochmals lesen.»
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Suizidkapsel ist kein Heilmittel

Swissmedic hat die Suizidkapsel Sarco einer ersten heilmittelrechtlichen Einschätzung unterzogen. Das Resultat ist wenig überraschend.

image

Soignez-moi-Gründer Boichat bringt Generikum-App

Die neue Website Genericum.ai zeigt an, welches Medikament am billigsten ist. Und sie legt Preiserhöhungen offen.

image

Keine Zulassung für Alzheimer-Medikament Lecanemab

Die Europäische Arzneimittelagentur will den Wirkstoff Lecanemab nicht zulassen. Die Nebenwirkungen seien grösser als der Nutzen.

image

Medikamenten-Mangel: Ärzte fordern europäische Strategie

In einer gemeinsamen Resolution verlangen die deutschsprachigen Ärzte-Gesellschaften, dass die Abwanderung der Heilmittel-Produktion nach Asien gebremst wird.

image

Schweizer Antibiotika-Strategie wird ausgebaut

Die Überwachung des Antibiotikaverbrauchs und der Resistenzraten zeigt Wirkung: Es werden weniger Antibiotika verschrieben.

image
Gastbeitrag von Claus Hysek

Wie man für 15 Rappen pro Monat den Apotheken-Markt zerstört

Santésuisse hat vorgerechnet, wo man bei Medikamenten sparen kann. Wir haben nachgerechnet.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Notfall des See-Spitals war stark ausgelastet

Die Schliessung des Spitals in Kilchberg zeigt Wirkung: Nun hat das Spital in Horgen mehr Patienten, macht aber doch ein Defizit.