Epidemiologe Althaus im Clinch mit Boulevard-Medien

Die Schlagzeilen im «Blick» und «20 Minuten» waren Christian Althaus zu reisserisch. Doch der Presserat fand die Zitate zulässig.

, 29. September 2020 um 05:53
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Chrisitan Althaus beschwerte sich gegen solche reisserischen Blick-Schlagzeilen.  | Screenshot Blick
Die Interview-Frage der NZZ an den Epidemiologen Christian Althaus war eigentlich gar keine richtige Frage, sondern eine Feststellung: «Es könnte also drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben. Bei einer Sterblichkeit von einem Prozent sprechen wir von 30 000 Toten.» So lauteten die Bemerkungen des Interviewers. Althaus bestätigte: «Ja, ein solches Worst-Case-Szenario ist nicht ausgeschlossen.»

War das Zitat falsch?

An jenem Tag zu Beginn der Corona-Pandemie in der Schweiz nahmen die Boulevard-Medien diese Aussagen sogleich auf und verbreiteten sie weiter. «Im schlimmsten Fall gibt es bei uns 30 000 Tote», titelte «20 Minuten». Und der «Blick» schrieb: «Es könnte drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben».
Christian Althaus fühlte sich falsch zitiert und beschwerte sich beim Schweizer Presserat. Doch das Selbstkontrollorgan der Schweizer Presse versagte ihm die Unterstützung.

«Titel muss zuspitzen»

Die Zusammenfassung «im schlimmsten Fall gibt es bei uns 30 000 Tote» ist inhaltlich nicht falsch, befand der Presserat. Die Zahl der Obergrenze stimme und es sei ausdrücklich vom «Worst-Case-Szenario», vom «schlimmsten Fall» die Rede, begründet das Gremium.
Der Presserat kann deshalb keine Verstösse gegen die Wahrheit oder eine Entstellung von Althaus’ Meinung erkennen. «Schon gar nicht im Falle eines Titels, der immer reduzieren muss und allenfalls auch zuspitzen darf», wie der Presserat schreibt.

«Davon ausgehen» oder «nicht ausschliessen»?

Ob Althaus «davon ausgeht» oder es «nicht ausschliesst», mache insofern keinen Unterschied, als in beiden Fällen von einer konkret benannten möglichen Obergrenze gesprochen wird. Das einzige Zugeständnis an Althaus’ Beschwerde: Der Presserat erachtet die Anführungs- und Abführungszeichen als redaktionellen Fehler: «Diese signalisieren wortwörtliche Zitate und das stimmt für beide Titel nicht. Wenn eine Aussage in veränderter, zusammenfassender Form wiedergegeben wird, darf sie nicht mit Zitatzeichen versehen werden, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.»

«20 Minuten» korrigierte

Die Gratiszeitung «20 Minuten» korrigierte denn auch von sich aus und schrieb zu ihrem Artikel: In einer ersten Version des Artikels wurde Christian Althaus mit der Aussage zitiert, dass es im Worst-Case-Szenario in der Schweiz bis zu 30'000 Todesopfer geben könnte. Der Epidemieforscher legt Wert darauf, dass er diese Aussage nicht selbst gemacht hat, sondern dass sie aus einer Interviewfrage stammt. Wir entschuldigen uns für diese unzulässige Vermischung von Frage und Antwort.»
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