«Leistungskatalog der Grundversicherung muss entstaubt werden»

Homöopathie, Placeboeffekt und esoterische Praktiken: Es gibt Behandlungsmethoden, deren Wirksamkeit nicht belegt sind. Diese müssten von der Grundversicherung gestrichen werden, fordert Nationalrat Philippe Nantermod.

, 4. März 2022 um 12:51
image
Ärztinnen und Ärzte dürfen in der Schweiz seit rund zehn Jahren (wieder) komplementär-medizinische Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflege-Versicherung abrechnen. Dies hat das Volk im Jahr 2009 so entschieden. Seitdem werden die Kosten für Leistungen der anthroposophischen Medizin, der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), der Homöopathie, der Phytotherapie und der Neuraltherapie übernommen.
In der Schweiz sind für die gesetzliche Beurteilung jeder Behandlungs-Methode die bekannten Kriterien «Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit» (WZW) entscheidend. Und hier kommt bei gewissen Behandlungen und Leistungen der Haken: Denn es ist bekannt, dass die Wirksamkeit verschiedener Methoden der Komplementär-Medizin wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden kann.

Gewisse Methoden sind reine Glaubenssache

So haben etwa Australien und Frankreich unlängst beschlossen, dass zum Beispiel die Homöopathie nicht mehr von den Krankenversicherern übernommen wird. Die französische Gesundheitsbehörde steht hinter dieser Entscheidung und stützt sich auf eine Auswertung von rund 800 Studien, aus denen hervorgeht, dass die Wirksamkeit der Homöopathie schlichtweg nicht nachgewiesen ist. 
Stark umstritten sind auch bestimmte Behandlungen bei Eisenmangel und bei zu hohen Cholesterinwerten. Mehr noch: Einige Leistungen, die vor zehn Jahren noch einen gewissen Ruf genossen, werden heute in wissenschaftlichen und medizinischen Kreisen als reine Glaubenssache angesehen.
image
Philippe Nantermod

Nicht Aufgabe der Sozialversicherung

Das will Philippe Nantermod ändern. Der Nationalrat bemängelt, dass mit den Krankenkassenprämien jedes Jahr gewisse Leistungen finanziert werden. Und zwar solche, die abgesehen von der Überzeugung der Patientinnen und Patienten, dass sie wirksam sind, keinen medizinischen Mehrwert bieten.
Der Walliser Rechtsanwalt weist in seiner Motion gleichzeitig darauf hin, dass die individuellen Entscheidungen natürlich «völlig frei» bleiben. Aber es sei nicht Aufgabe der Sozialversicherungen, solche Methoden zu billigen, geschweige denn zu unterstützen. 

Aus dem Leistungskatalog entfernen!  

Aus diesem Grund scheine es heute unerlässlich, den Leistungskatalog der Grundversicherung zu entstauben. Behandlungen und Leistungen, deren Wirksamkeit nicht belegt ist oder nicht über den Placeboeffekt hinausgeht, sollen aus dem Leistungskatalog des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) entfernt werden, wie er schreibt.
Gleichzeitig wünscht sich der 37-jährige liberale Gesundheitspolitiker in einem Postulat, dass der Bundesrat nach zehn Jahren selbst aktiv werde und eine Evaluation aller komplementär-medizinischen Behandlungsmethoden vornehme.

Bund setzt lieber auf das Vertrauensprinzip

Der Bundesrat will aber von all dem wenig bis gar nichts wissen. Die Landesregierung erachtet die vorhandenen Prozesse als «zweckdienlich» und «ausreichend». Eine Evaluation aller komplementär-medizinischen Behandlungsmethoden sei «nicht angezeigt». Die entsprechenden Prozesse zur Überprüfung der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit sind gemäss Bundesrat vorhanden. Zum Beispiel würden mittels Health Technology Assessment (HTA) laufend Leistungen überprüft, die potenziell nicht mehr die Kriterien erfüllen, heisst es. 
Der Bundesrat weist gleichzeitig auf das Vertrauensprinzip hin. Um die Leistungspflicht für komplementär-medizinische Leistungen unter Wahrung der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen, gilt in der Schweiz dieses Prinzip – als Alternativ-Massstab für die Beurteilung. Das heisst: Die Leistungen werden vergütet in der Annahme, dass sie die WZW-Kriterien erfüllen. Auch hier erachtet der Bundesrat dieses bestehende System als «geeignet» und eine Intervention als «nicht angezeigt».

Berufsverbände müssten Studien vorlegen

In der Schweiz kann, wie der Bundesrat in seiner Antwort weiter schreibt, bei Vorbehalten von interessierten Kreisen eine WZW-Überprüfung beantragt werden. Dies stehe auch im Bereich der Komplementär-Medizin offen. In diesem Falle müssten die betroffenen Berufsverbände den Nutzen der Leistungen mit wissenschaftlichen Studien belegen. Allerdings ist es nicht bekannt, ob und wie oft dieses Verfahren in der Vergangenheit angewendet wurde. Die Leistungspflicht umfasst zudem keine genaue Liste der betroffenen Methoden der Komplementär-Medizin.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Pierre-Yves Maillard will den Krankenkassen die Beteiligung an Leistungserbringern verbieten

Der SP-Ständerat wittert eine ungute Doppelrolle der Krankenkassen.

image

Abschaffung des NC? «Finden wir nicht gut»

Dass der Numerus Clausus abgeschafft wird, stösst bei Medizinstudenten auf wenig Begeisterung. Sie fürchten Qualitätseinbussen.

image

Direktorin des neuen Krankenkassen-Verbands ist eine Ex-Kaderfrau von Curafutura

Saskia Schenker wird nächstes Jahr die Leitung des Verbands Prioswiss übernehmen.

image

Idee: Eine «fünfte Säule» für die Langzeit-Pflege

Die Denkfabrik Avenir Suisse schlägt ein Pflege-Sparkonto im Stile der Pensionskassen vor. Die angesparte Summe würde die Belastung von Krankenkassen und Staat senken – und könnte auch vererbt werden.

image

Luzern: Referendum gegen neues Spitalgesetz

Die Luzerner Grünliberalen sind gegen die Festlegung des Leistungsangebots der Spitäler im Gesetz.

image

Hirslanden: Daniel Liedtke geht zu Helsana

Der CEO der Privatspital-Gruppe soll nächstes Jahr aufs Verwaltungsratspräsidium des Versicherers wechseln.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.