Fünf Müsterchen, weshalb Christoph Stoller seine Praxis aufgab

Christoph Stoller war gerne in seiner Praxis mitten in Bern. Er mochte sich jedoch nicht mehr mit Krankenkassen und Versicherern herumschlagen, die ihm die Zeit raubten, seiner Leidenschaft nachzugehen. Fünf Beispiele.

, 3. August 2017 um 04:00
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Christoph Stoller hat genug. Der Schulterorthopäde zeigt zwar immer noch eine Leidenschaft für die Medizin. Doch die zunehmende Administration und den damit einhergehenden Ärger bewegte den Berner dazu, seine Praxis zu schliessen und die Patienten einem Kollegen zu übergeben. Nun verfasst er noch Gutachen und assistiert im Ops des Berner Salemspitals.
«Es wurde im Verlauf der Jahre immer schlimmer», blickt der 64-jährige zurück. Er verweist auf die eben erst publizierte Studie, wonach Assistenzärzte dreimal mehr Zeit vor dem Computer verbringen als bei den Patienten. 

Assistent bei Norbert Gschwend

«1988 war ich in der Schulthess Klinik Assistent von Norbert Gschwend. Professor Gschwend hatte bereits damals erkannt, dass Ärzte zu teuer für Sekretariatsaufgaben waren. Wir hatten damals die Krankengeschichten diktiert, und Sekretärinnen haben sie niedergeschrieben», erinnert sich Stoller. Es wäre an der Zeit, diese Praxis aus Kostengründen wieder einzuführen.
Als Inhaber einer Praxis an der Kramgasse in Bern war das Problem ein anderes: Die Unterscheidung von KVG und UVG. Laut Stoller sind es häufig die Patienten, die für zusätzlichen Aufwand sorgen. Indem sie auf einen Unfall pochen, obschon das Ereignis im sozialversicherungsrechtlichen Sinn eindeutig krankheitsbedingt ist. Dies ist möglicherweise die Folge einer hohen Franchise, die die Patienten abgeschlossen haben, die dann aus dem eigenen Sack bezahlt werden muss.
Nicht jeder zusätzliche administrative Aufwand kann mit dem Tarmed abgerechnet werden. «Das ist nicht das Problem. Aber der Tag hat auch für mich nur 24 Stunden.» So weiss Stoller ein paar Müsterchen zu erzählen, die dazu führten, dass er dem Führen einer eigenen Praxis überdrüssig wurde.

Beispiel 1: Frozen Shoulder

Christoph Stoller verschrieb einem Patienten mit einer Frozen Shoulder nebst anderen Massnahmen einen Miacalcic Nasalspray. Der Vertrauensarzt der Krankenkasse lehnt die Kostengutsprache ab, da der Spray im Kompendium als Indikation nicht aufgeführt sei. Stoller versucht, den Vertrauensarzt zu kontaktieren. Immer wieder. 
Endlich hat er ihn am Draht und erklärt, der Spray sei bei Algodystrophie als Indikation aufgeführt. «Also schreiben Sie doch das», erwidert der Arzt. Flugs war die Kostengutsprache im Kasten. Christoph Stoller: «Viel Zeit vergeudet wegen einer sprachlichen, fachlichen Unkenntnis.»

Beispiel 2: Schultertrauma

Ein Patient erleidet ein Schultertrauma. Gemäss dem Röntgenbild ist nichts gebrochen. Stoller empfiehlt, mal abzuwarten. Nach sechs Wochen vermeldet der Patient eine tendenzielle Besserung. Nochmals warten. Als die Schmerzen nach vier Monaten immer noch nicht vergangen sind, macht Stoller ein MRI – und siehe da. Die Sehne ist gerissen. Die Suva lehnt die Kostengutsprache ab, da nicht bewiesen sei, dass der Riss aufs Trauma zurückzuführen sei. 
Eine Stunde sitzt dann Stoller mit Verantwortlichen zusammen und sagt: «Hört mal, in Zukunft mache ich immer gleich beim ersten Arztbesuch ein MRI und nach 6 Wochen und 12 Wochen halt noch eines.» Die Antwort der Suva-Verantwortlichen: «Ja, machen Sie doch das.»
Dazu Christoph Stoller: «Da will man Kosten sparen und womöglich auf unnötige Untersuchungen verzichten, und die Suva verlangt das Gegenteil.»

Beispiel 3: Reha

Die 70jährige Frau bekommt eine Schulterprothese. Sie lebt alleine und kann nach der Operation die täglichen Verrichtungen während der Rehabilitationsphase nicht allein durchführen. Die Krankenkasse lehnt die Kostengutsprache für eine Reha primär trotzdem ab. Stoller bittet den Case-Manager um 6 Uhr morgens mit ihm auf die Visite zu kommen. Drei Stunden später ist die Kostengutsprache auf dem Mail. Stoller: «Es ist schon fraglich, wenn ein Case-Manager vom Stuhl aus entscheidet, was für den Patienten notwendig ist; aber er ist wenigstens zur morgendlichen Visite erschienen und hat seine Meinung revidiert.»

Beispiel 4: Assura

Ein Assura-Kunde hat Schmerzen und immer wiederkehrende Schwellungen im Knie. Über Jahre wurden alle Untersuchungen mehrmals in der Universitätsklinik durchgeführt und die konservativen Massnahmen ausgeschöpft. Stoller entscheidet sich für eine Arthroskopie, Entfernung des stark entzündeten Gewebes und Einschicken zur histologischen Untersuchung. Wegen Nachblutungsgefahr muss der Patient mindestens für eine Nacht im Spital bleiben. 
Assura lehnt ab und leistet die Kostengutsprache nur für einen ambulanten Eingriff. Der Patient tobte und schliesslich willigte Assura ein. Stoller: «Ich kenne Kollegen, die Assura-Versicherte grundsätzlich ablehnen.»

Beispiel 5: Rotatorenmanschette

Ein Mann ist vom Dach gefallen. Eine Sehne der Rotatorenmanschette ist gerissen. Der Unfallversicherer lehnt die Übernahme der Kosten ab. Es handle sich um eine Krankheit, da vorbestehend. Dabei konnte man laut Stoller im MRI klar erkennen, dass der Riss frisch sei. Das Verwaltungsgericht gibt ihm schliesslich Recht.
Stoller: «Ich weiss nicht mehr, wie viele administrative Stunden ich mit dem Fall vergeuden musste. Alles zusammengerechnet waren es sicher mehrere Tage.»
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