Immuntherapien gehören zu den viel versprechendsten Mitteln im Kampf gegen Krebs. Die Idee dahinter: Anstatt Medikamente zu verabreichen, die den Tumor bekämpfen, soll das Immunsystem des Körpers so gestärkt werden, dass es den Krebs selbst bekämpfen kann - genau so wie bei einer Infektionskrankheit. Die Industrie spricht von einem «Paradigmenwechsel» in der Krebsbehandlung.
«Das Forschungsfeld wird die Behandlung von Krebs revolutionieren», heisst es beim Pharmakonzern
Roche, der in der Onkologieforschung und -entwicklung voll auf Immuntherapien setzt und nun die erste Zulassung feiern kann. Der Schweizer Pharmakonzern, weltweit führend in der Krebstherapie, investiert «mehr denn je zuvor» in die Methode. «Die nachhaltig verbesserten Aussichten für Krebspatienten sind sehr ermutigend», sagt Konzernchef Severin Schwan in einer
Videobotschaft.
Roche stellt 19 neue Substanzen vor
Eine der treibenden Kräfte hinter der Entwicklung ist Sandra Horning, die als Chief Medical Officer so etwas wie das medizinische Gewissen von Roche ist. Am weltweit wichtigsten Onkologie-Kongress der
American Society of Clinical Oncology (ASCO), der am 2. Juni 2016 in Chicago beginnt, wird die Onkologin ihren grossen Auftritt haben. Insgesamt werden 30'000 Spezialisten erwartet.
«Wir freuen uns, am ASCO-Kongress Studienergebnisse präsentieren zu können, die das Potenzial haben, neue Therapien zu liefern für Krebsarten, deren Behandlung in den letzten Jahrzehnten kaum Fortschritte gemacht haben», sagt Sandra Horning. Insgesamt will Roche am Kongress 19 Substanzen für acht verschiedene Krebsarten vorstellen, die bereits bewilligt oder noch in Prüfung sind.
Erste Immuntherapie zugelassen
Darunter befindet sich auch einer der grössten Hoffnungsträger des Konzerns, Tecentriq (atezolizumab), der gegen fortgeschrittenen Blasenkrebs eingesetzt wird. Gerade rechtzeitig zum ASCO-Kongress erhielt Roche am 19. Mai 2016 von der US-Behörde
Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung für Tecentriq. Die Substanz wurde bei der Tochterfirma
Genentech entwickelt, wo auch Sandra Horning Karriere machte.
Es ist die erste und einzige Immuntherapie dieser Art, welche die Zulassung erhalten hat - und die erste Zulassung für ein Präparat gegen einen bestimmten Blasenkrebs innerhalb der letzten 30 Jahre.
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Milliardenumsätze vorausgesagt
Tecentriq ist ein Antikörper, der verhindert, dass Krebszellen über ihr Oberflächeneiweiss PDL1 an die Immunzellen andocken. Damit kann die Krebszelle ihren Angreifer nicht mehr ausschalten, was wiederum für die Immunzelle den Weg freimacht, die Krebszelle anzugreifen. Mehrere Analysten sagen dem Mittel Umsätze in Milliardenhöhe voraus.
Insgesamt hat Roche über 20 Wirkstoffe für Krebsimmuntherapien in der Entwicklung, von denen sich neun in klinischen Studien befinden. Darüber hinaus werden zahlreiche Kombinationstherapien getestet.
Roche versucht auch, das in der Diagnostik erworbene Wissen mit der Immuntherapie zu kombinieren. Dabei sollen gezielte Diagnostik-Tests ganz am Anfang der Behandlung zeigen, welche Krebspatienten überhaupt auf eine teure Immuntherapie ansprechen. Dies soll die Effizienz des Medikaments erhöhen. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass nicht alle Patienten auf die Immuntherapie ansprechen.
Krebs als chronische Krankheit
Mit den Immuntherapien steigt die Hoffnung, dass bisher tödlich verlaufende Krebserkrankungen in chronische Formen gewandelt werden können, mit denen Patienten über längere Zeitspannen hinweg gut leben können.
Neben Roche sind auch die Pharmakonzerne Merck, Bristol Myers Squibb sowie Pfizer im Wettlauf um die Immuntherapien vorne mit dabei.
Problem Nebenwirkungen
Ein Zaubermittel sind die Immuntherapien freilich nicht. «Ein Problem sind die Nebenwirkungen», sagt etwa Onkologe Ulf Petrausch vom
OnkoZentrum Zürich in einer Hirslanden-Publikation. «Werden bei einem Immunsystem die Bremsen gelöst, kann es sich auch gegen den eigenen Körper richten».
Petrausch hält eine Kombination der Immuntherapie mit einer Chemo- und/oder Strahlentherapie für viel versprechend. Während diese bewährten Therapien möglichst viele Tumorzellen eliminieren, werden die verbleibenden Krebszellen vom Immunsystem unter Kontrolle gehalten. Vor allem bei der Bekämpfung von Haut-, Nieren- und Lungenkrebs sind laut Petrausch mit dieser Methode ermutigende Resultate zu beobachten.