Wenn Patienten mit Bluthochdruck nicht zum Arzt gehen wollen oder können, dann funktioniert es vielleicht umgekehrt: Die Medizin zu den Menschen bringen statt die Menschen zum Arzt. Genau diese Idee steckt hinter einem Projekt, vorgestellt an der diesjährigen Jahrestagung des American College of Cardiology (
ACC) in Orlando.
Das Ziel der Initiative: Hohen Blutdruck erkennen und senken. In mehr als 50 «Barber-Shops» in Los Angeles wurden Kunden auf Bluthochdruck untersucht – und behandelt. Die Aktion bestand aus Messung und Infos durch den Coiffeur sowie einer medikamentösen Therapie durch speziell geschulte Apotheker.
Die über 300 männlichen Teilnehmer – unterteilt in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe – waren im Alter zwischen 35 und 79 Jahren und hatten Bluthochdruck (≥ 140 mmHg). Dabei handelte es sich um Menschen afroamerikanischer Herkunft. Bekannt ist, dass diese Bevölkerungsgruppe ein deutlich höheres Risiko aufweist, früh an Hypertonie und deren Folgen zu erkranken. Gleichzeitig gehen sie aus verschiedenen Gründen seltener zum Arzt.
Blutdruck um durchschnittlich 27 mmHG gesenkt
Die Männer liessen sich im Barber-Shop also nicht nur die Haare schneiden oder den Bart trimmen, sondern gleichzeitig wurde der Blutdruck gemessen und therapiert. Das Resultat: Coiffeurkunden mit arterieller Hypertonie erzielten in nur sechs Monaten eine systolische Blutdrucksenkung um durchschnittlich 27 mmHg.
Im Laufe der Studie fiel so der Durchschnitt in der Interventionsgruppe von 152,8 mmHg auf 125,8 mmHg. In der Kontrollgruppe sank der systolische Blutdruck von durchschnittlich 154,4 auf 145,4 mmHg. Den Probanden in dieser zweiten Gruppe wurden Änderungen des Lebensstils und einen Besuch beim Arzt empfohlen.
Demnach erreichten fast zwei Drittel der Teilnehmer in der Interventionsgruppe den systolischen Zielwert des ACC und der American Heart Association von maximal 130/80 mmHg. In der Kontrollgruppe waren es knapp 12 Prozent, wie aus der im Fachmagazin «New England Journal of Medicine» veröffentlichten Analyse hervorgeht.
Ronald Victor vom Cedars Sinai Medical Center | Screenshot MedPage Today
«Der perfekte Ort, um den Blutdruck zu messen»
In entspannter Umgebung und unter der Aufsicht des Coiffeurs des Vertrauens lässt sich der Blutdruck offenbar gut kontrollieren. «Es stellte sich heraus, dass ein bequemer, gerader Barberstuhl mit Fussstützen und Armen auf Herzhöhe der perfekte Ort ist, um den Blutdruck zu messen», sagte Ronald Victor
zum Sender NBC. Victor ist Studienleiter und Arzt am Cedars Sinai Medical Center in Los Angeles.
Barber-Shops gelten in den USA für viele Männer als ein wichtiger Ort des Gesellschaftslebens. «Es gibt offene Gespräche in einem Coiffeursalon. Es gibt eine Beziehung, Vertrauen», sagt etwa Barbershop-Betreiber Eric Muhammad zum Nachrichtensender
Foxnews.Leben retten: Rauchstopp, Cholesterin...
«Wenn wir dieses Modellprojekt ausweiten und beibehalten, können wir das Leben von Millionen Menschen retten und viele Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern», so Forschungsleiter Victor weiter.
Die Wissenschaftler planen nun den Ansatz auf weitere Städte landesweit zu erweitern. Vorgesehen ist eine Studie mit 3’000 Männern in mehreren US-Städten durchzuführen, um die positiven Resultate zu überprüfen. Ebenso wäre es denkbar, dass andere Aspekte der Prävention integriert würden: Rauchstopp, kardiovaskuläre Risikoeinschätzung, hohe Cholesterinwerte...
Victor und sein Team hatten schon 2010 ein ähnliches und erfolgreiches Experiment in «Barber-Shops» in Dallas durchgeführt. Neu ist allerdings, dass ein Apotheker im Coiffeursalon das medikamentöse Therapiemanagement in die Hand nimmt.
Die Folgestudie umfasst zudem eine Kostenanalyse. Victor hofft, dass sich grosse Versicherer an dem Projekt beteiligen. Dies wäre wichtig für die nationale Ausweitung des Konzepts, das viele Ressourcen und Koordination benötig. Denkbar ist auch, dass ferner Pflegefachkräfte oder medizinische Fachangestellte die Betreuung der Patienten in den Barber-Shops übernehmen könnten.
Nicht-Mediziner für das Thema sensibilisieren
Immer wieder steht der Vorschlag im Raum, dass auch Coiffeure durch entsprechende Schulungen auf verdächtige Hautveränderungen im Kopfbereich hinweisen könnten. Dabei soll es keineswegs darum gehen, gezielte Diagnosen wie ein Melanom festzustellen. Coiffeure sollten ihren Kunden gegebenenfalls lediglich ein Hautkrebsscreening nahelegen.
So schlagen zum Beispiel US-Dermatologen wie R. Black von der University of Colorado Anschutz Medical Campus in Aurora vor, Coiffeure stärker einzubinden
(mehr dazu hierhier oder auch hier).Der Ansatz könnte sich auch für andere Berufsgruppen eignen: beispielsweise Physiotherapeuten oder auch medizinische Laien wie Fusspfleger, Kosmetikerinnen oder Mitarbeitende von Nagelstudios oder Schönheitssalons.
Bei Medizinern ist die Thematik allerdings nicht unumstritten. So werden schnell Stimmen laut, die vor deutlich mehr Patienten mit unbegründetem Verdacht warnen. Andere wiederum halten die Schulung medizinischer Laien für sinnvoll.
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