Unnötige Vitamintests vergeuden jährlich Millionen

Prämienzahler bezahlten im Jahr 2017 über 130 Millionen Franken für Vitamin-D-Therapien. In knapp zehn Jahren stieg die Anzahl der Tests auf das 123-Fache an. Ist das wissenschaftlich begründet?

, 2. April 2019 um 06:00
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Das Thema Vitamin-D-Mangel scheint seit mehreren Jahren ein Trend im Gesundheitswesen zu sein. Doch für Thomas Rosemann, Professor für Hausarztmedizin an der Uni Zürich, sind fast alle Vitamin-D-Tests und Vitamin-D-Gaben «hinausgeworfenes Geld». Dies sagt er dem Konsumentenmagazin «Saldo». Denn die Datenlage zeige bei gesunden Leuten keinen Nutzen.
Anders beurteilen dies wohl aber die Mediziner in der Praxis: Allein im Jahr 2017 verordneten Hausärzte in der Schweiz fast 1,2 Millionen solcher Vitamin-D-Tests. Im Jahr 2008 waren es erst 9'500 Tests gewesen, wie aus den entsprechende Informationen hervorgeht.
Das sind 123 Mal so viele wie vor neun Jahren. Jeder siebte Versicherte wurde hierzulande getestet. In Deutschland war es nur jeder siebzehnte, wie die Recherchen des Konsumentenmagazins weiter zeigen.

Nur für Säuglinge und Senioren

Die Tests und Tropfen verschlingen viel Geld:Für das Jahr 2017 waren es laut «Saldo» 63 Millionen Franken für die Tests – und 75 Millionen Franken für Vitamin-D-haltige Präparate. Total gaben die Prämienzahler also 138 Millionen Franken für Vitamin D aus. Entsprechende rezeptfreie Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel aus dem eigenen Sack bezahlt seien nicht eingerechnet.
Einzig bei Säuglingen und Senioren, die nie im Freien an der Sonne sind, kann die Vitamin-D-Zufuhr sinnvoll sein, wie Rosemann dem Konsumentenmagazin weiter erklärt. Das gelte auch für Menschen, die wegen einer Osteoporose bereits einen Knochenbruch hatten. Für die anderen reiche es, regelmässig ans Tageslicht zu gehen, um das nötige Vitamin D zu bilden. Denn laut Studien haben nur wenige Menschen massiv zu wenig davon.

Empfehlungen an neue Erkenntnisse anpassen

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit empfiehlt über 60-Jährigen, im Winter zusätzlich Vitamin D einzunehmen. Erwachsene bis 60 und Kinder ab drei Jahren sollten eine Einnahme prüfen. Als Gründe werden Rachitis bei Kindern oder Knochenkrankheiten bei Erwachsenen genannt.
Für Professor Rosemann von der Uni Zürich ist das unverständlich: Er fordert, «die Empfehlungen endlich der überzeugenden neuen Datenlage anzupassen». Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt gegenüber «Saldo» zu, dass die Empfehlungen «mög­licherweise» nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Es werde derzeit geprüft, ob Vitamin-­D-Präparate und Tests den Patienten wirklich nützen. 
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