Spitalfinanzierung: Ein Modell gegen «Rosinenpicken»

Länder, welche die DRG-Vergütung schon vor Jahren eingeführt haben, gehen das Problem der Hochkostenfälle entschieden an. Die Schweiz hat noch Nachholbedarf, wie eine neue Studie von Ökonomen der Beratungsfirma Polynomics zeigt.

, 23. November 2017 um 11:00
image
  • drg
  • spital
  • fallpauschalen
Hochkostenfälle werden den Spitälern mit Fallpauschalen (DRG) nur teilweise vergütet. So tragen die Kliniken das Verlustrisiko selbst – die «Fälle mit besonders hohem Ressourcenbedarf» führen schliesslich zu hochdefizitären Fällen. 
Deshalb kommt es hier auch oftmals zu ungewollten Verhaltensweisen bei der Patienten- oder Leistungsselektion: zu «Rosinenpicken». Ein Ländervergleich des Beratungsunternehmens Polynomics liefert nun ein Lösungskonzept für die Schweiz. 

Deshalb werden Hochkostenfälle zum Problem

Die Übersichtsstudie zu den Erfahrungen und dem Umgang mit Hochkostenfällen aus über 30 Ländern wurde vom Universitätsspital Zürich (USZ) in Auftrag gegeben. 
Unter drei notwendigen – aber nicht hinreichenden – Bedingungen werden laut den Ökonomen Hochkostenfälle überhaupt zu einem Problem in DRG-Systemen: 
  • Vergütungsbedingung: Das Land muss das DRG-System nicht nur zur Klassifizierung von Patientenfällen, sondern auch zur Vergütung der Spitäler über Fallpauschalen verwenden.
  • Risikobedingung: In dem Land müssen die Spitäler finanzielles Risiko tragen. Für ein Spital besteht folglich ein begründetes Risiko für einen Konkurs oder anderweitige betriebliche Einschränkungen im Falle von Verlusten.
  • Altersbedingung: Das Land muss das Fallpauschalensystem bereits seit einigen Jahren eingeführt haben, so dass allfällig bestehende Probleme mit Hochkostenfällen bereits zu Tage getreten sind.

Rückversicherung als möglich Lösung

Als wichtigste Erkenntnis halten die Autoren Philip Hochuli und Philippe Widmer für die Schweiz fest: Vier Jahre nach Einführung von SwissDRG sind die drei Bedingungen erfüllt. Die in der Schweiz berichteten Probleme sind ferner deckungsgleich mit den Erfahrungen in anderen Ländern.
Sind die Bedingungen Vergütung, Risiko und Alter erfüllt, kommt es zu einer aktiven Thematisierung und teilweise zu Massnahmen, um die Probleme mit Hochkostenfällen einzudämmen. Einige Länder sehen deshalb zum Beispiel separate Vergütungen für spezifische Fälle oder Rückversicherungslösungen vor. Die wichtigsten Massnahmen sind:
image
Massnahmen gegen Hochdefizitfälle im Überblick | Polynomics

«5-Phasen-Modell» soll Abhilfe schaffen

Die Ökonomen präsentieren mit einem «5-Phasen-Modell» gleichzeitig ihren Modellvorschlag. Die Schweiz befinde sich derzeit in der dritten Phase. Die vierte Phase, die Erweiterungsphase, ist im Hinblick auf Lösungsansätze für die Schweiz von besonderem Interesse, wie die Studienautoren schreiben.
Das Modell biete eine Möglichkeit, die Diskussion zu strukturieren und Massnahmen aus anderen Ländern zu evaluieren, schreiben die Autoren weiter. So könne das Problem von Hochkostenfällen unter SwissDRG gelöst werden. Und es soll eine Grundlage für einen fairen Wettbewerb zwischen den Spitälern schaffen.
image
«5-Phasen-Modell» für das ungelöste Problem von Hochkostenfällen | Polynomics

Die Schweiz hat Nachholbedarf

«Die von SwissDRG ergriffenen Massnahmen zur Ausdifferenzierung der Tarifstruktur konnten bisher keine entscheidenden Verbesserungen erzielen und sind aus Sicht des Zürcher Unispitals auch nicht geeignet, die durch Hochkostenfällle verursachten Probleme und Verzerrungen in der Schweiz effektiv zu lösen», kommentiert das USZ die Studie.
Viele Länder treten dem Unispital zufolge den Auswirkungen entschiedener entgegen als die Schweiz. Es sei deshalb notwendig, den eingeschlagenen Weg zu überdenken. Die Studie weise auf mögliche Anknüpfungspunkte dafür hin, so das Universitätsspital weiter.  

«Faire Abgeltung von Hochkostenfällen in DRG-Systemen – Internationale Erfahrungen und Lösungskonzepte», «Polynomics», November 2017.

Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Gesundheitsfördernde Materialien gesucht?

Die Wahl passender Materialien ist bei Neu- und Umbauten eine grosse Herausforderung – auch im Gesundheitsbereich. Denn diese müssen unterschiedlichen und hohen Anforderungen gerecht werden. Nicht immer ist das jahrelang Eingesetzte die beste Wahl und neue Alternativen haben es schwer.

image

Spitäler Schaffhausen: Gesamterneuerung teurer, Kosten bei 330 Millionen Franken

Dabei soll der Kanton insgesamt 130 Millionen Franken beitragen.

image

Nachhaltiger Neubau in Arlesheim: Fast alles aus Holz

Der Neubau der Klinik Arlesheim setzt auf nachhaltigen Holzbau. Mit modernster Architektur und ökologischen Materialien entsteht ein einzigartiges Gebäude, das Gesundheit und Umwelt vereint. Ein Projekt, das für die Zukunft der medizinischen Versorgung steht.

image

Spital Thusis: Zwischen Status Quo und Leistungsabbau

Soll das Spital Thusis in der heutigen Form erhalten bleiben – oder sich auf Kernbereiche beschränken? Dies die vorliegenden Szenarien. Ein Entscheid soll bis Mai 2025 fallen.

image
Die Schlagzeile des Monats

Spitäler: Entweder Teuerungsausgleich oder Steuergelder

In unserer Video-Kolumne befragen wir Branchenprofis zu aktuellen Fragen. Diesmal: Daniel Heller, Verwaltungsratspräsident des Kantonsspitals Baden und der Klinik Barmelweid.

image

LUKS: Der neue CEO heisst Florian Aschbrenner

Der Helios-Manager folgt im April 2025 auf Benno Fuchs, der Ende März 2025 in Pension geht.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.