Die Erregung kam letzten August auf: Da
bewilligte die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erstmals eine Lustpille für die Frau.
Addyi, so der Markenname des Mittels, wurde sogleich als «rosa Viagra» gefeiert, und in vielen Medienberichten grassierte die Hoffnung, dass die Stimulations-Tablette bald Schwung in die Betten bringen werde, erst von Amerika, dann weltweit.
Nun, ein halbes Jahr nach dem Verkaufsstart, lässt sich mehr dazu sagen. Denn eine Gruppe von Medizinern der Universitäten von Rotterdam, Brüssel und Amsterdam sammelte alle Daten aus allen Studien, in denen Wirkungen und Nebenwirkungen von Addyi (respektive des Wirkstoffs Flibanserin) überprüft wurden; darunter auch klinische Untersuchungen, die zuvor noch gar nicht publiziert worden waren.
Insgesamt erfassten die Forscher die Erfahrungen von fast 6’000 Frauen, und doch: Am Ende liesse sich die greifbare Wirkung wohl im Spruch eines Schweizer Bundesrats zusammenfassen – «kä Luscht».
Wissenschaftlicher formuliert: Die gestern veröffentlichte Meta-Studie ergab, dass das neue Medikament bei der Durchschnitts-Käuferin zu «monatlich einer halben befriedigenden sexuellen Begegnung mehr» führe.
Die Kosten pro «satisfying sexual event»
Doch eines scheint klar: Viel ist es nicht. Verglichen mit Placebos – so die Studie – vermeldeten lediglich 10 Prozent der Käuferinnen eine spürbare Verbesserung ihres Sexuallebens. Auf der anderen Seite berichtete jede fünfte Testperson von Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, und zusammen mit Alkohol kann die Pille offenbar zu tiefem Blutdruck und gar Ohnmacht führen.
Was insofern ein spezieller Konfliktpunkt ist, als ja auch Alkohol ganz gern konsumiert wird, um ein halbwegs befriedigendes sexuelles Ereignis zu provozieren…
Immerhin: Dank der neuen Studie lässt sich weiterer wichtiger Durchschnittswert grob errechnen. Und zwar so: Da das rezeptpflichtige Medikament in einer Packung mit 30 Tabletten – einzunehmen im Zeitraum bis 84 Tagen – gut 800 Franken kostet, kommt eine ganze befriedigende sexuelle Begegnung auf mehrere hundert Franken zu stehen.
Kritik schon vor der Zulassung
Geht das Kalkül auf? Entsprechende Abwägungen der Kundinnen hätten durchaus ihre Bedeutung. Denn die Entwicklungsfirma hinter Addyi, Sprout Pharmaceuticals, wurde unmittelbar nach der FDA-Bewilligung vom kanadischen Pharmakonzern Valeant geschluckt – für 1 Milliarde Dollar.
Und dabei hatten mehrere Ärzte schon vor der Zulassung Kritik angemeldet, darunter Spezialisten, die selber in den Prüfungsgremien der FDA sitzen. In einem ungewohnten Schritt wandten sich drei der involvierten Mediziner
öffentlich gegen die Bewilligung: Sie warnten dabei gar nicht so sehr vor den Nebenwirkungen, sondern sie beklagten vor allem, dass die Herstellerfirma Sprout keine befriedigenden Effizienzdaten vorlegen konnte. Umsonst. Wenig später, am 18. August 2015, erteilte die Arzneimittelbehörde der Libidopille ihren Segen – nachdem dieselbe FDA den Antrag zweimal zuvor verworfen hatte.
Viagra für den Mann, Dürre für die Frau
Weshalb die Wende? In Ihrem Aufsatz wiesen die die drei kritischen Mediziner darauf hin, dass sich ab 2013 eine Lobbygruppe namens
«Even the Score» formiert hatte. Deren offizielles Anliegen: Sie pochte aufs Recht des weiblichen Geschlechts, auf dem Lustpillen-Feld nachzuziehen. Ein Kernargument dabei: Es gibt mittlerweile zwei Dutzend Medikamente gegen die männliche Lustlosigkeit, aber bei den Frauen herrscht Dürre.
Nach und nach schlossen sich etwa 25 Organisationen der Aktion an, darunter der Verband der Hebammen-Fachschulen oder die
Medical Association der hispanischen Bevölkerung. Gestartet wurde «Even the Score» allerdings von einem Berater von Sprout, und dieser zog mit den bewährten Mitteln des amerikanischen Business-Lobby-Wesens ins Feld – etwa mit
Briefen, in denen Kongressmitglieder Druck auf die Gesundheitsbehörden machten.
Der Ablauf war unbefriedigend
Man konnte allerdings erwarten, dass sich die Sache nun, nach dem Entscheid und der Einführung des Medikaments im letzten Jahr, beruhigen werde.
Doch jetzt sieht es plötzlich anders aus – womöglich herrscht noch lange keine Bettruhe. Mit den gestrigen Studien-Daten veröffentlichte JAMA auch ein Editorial, das man ganz unwissenschaftlich als bitterböse bezeichnen darf. Zwei Mediziner des Dartmouth Institute, Steven Woloshin und Lisa M. Schwartz, nannten dabei den ganzen Ablauf «unbefriedigend»: «Die FDA bewilligte ein nur marginal nützliches Medikament für einen nicht-lebensbedrohlichen Zustand trotz substanziellen – und unnötigen – Unsicherheiten über seine Risiken.»