Laut Bundesamt für Gesundheit ist der weltweite Antibiotikaverbrauch in der Humanmedizin im letzten Jahrzehnt um 36 Prozent gestiegen. Wie besorgniserregend ist diese Zunahme?
Je höher der Antibiotikaverbrauch ist, desto grösser ist die Gefahr von Antibiotikaresistenzen. Auch wenn die Schweiz noch nicht so sehr davon betroffen ist wie andere Länder, so ist die Situation dennoch besorgniserregend. Denn auch hierzulande stellen wir eine Zunahme von Patienten fest, die Infektionen mit resistenten Keimen haben. Man nennt die Antibiotikaresistenz auch die «schleichende Pandemie»: es betrifft die ganze Welt, ist jedoch nicht so akut wie Corona, sondern entwickelt sich langsam in eine falsche Richtung. Schuld daran ist der breite und unreflektierte Antibiotikaeinsatz in der Tier- und Humanmedizin.
Die Initiative «Antibiotic Stewardship (AS)» setzt sich für einen rationalen Antibiotikaeinsatz ein. Wie kann das gelingen?
Ziel ist, dass weniger Antibiotika verwendet und diese gezielter, auf den Erreger abgestimmt, eingesetzt werden. Breitspektrumantibiotika und Reserveantibiotika sollen, wenn möglich, vermieden werden. Laut dem «Centers for Disease Control and Prevention, CDC» werden wir ohne radikale Änderung der Antibiotika-Gebrauchspraktiken ab 2050 rund 10 Millionen Todesfälle weltweit pro Jahr haben wegen resistenten Keimen. Und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt, dass die Erhaltung der Wirksamkeit von antimikrobiellen Wirkstoffen die grösste Herausforderung der Medizin im 21. Jahrhundert ist.
Ist das Bewusstsein für «Antibiotic Stewardship» bei der Ärzteschaft vorhanden?
Das Bewusstsein ja. Allerdings liegt die Herausforderung in der konkreten Umsetzung der Massnahmen. Laut aktuellen Studien erfolgen 80 Prozent der Antibiotikaverschreibungen in der Hausarztpraxis. Davon etwa 60 Prozent mit unklarem Grund. Oftmals werden Antibiotika aus Sorge vor einem sich verschlechternden Gesundheitszustand verschrieben.
Zu Unrecht?
Ja. Eine Studie mit 30'000 Teilnehmenden hat beispielsweise gezeigt, dass die verschriebenen Antibiotika bei einem akuten Atemwegsinfekt eine Lungenentzündung nicht verhindert haben und auch keine Reduktion der spätere Spitaleinweisungen zur Folge hatten. Viele Erkrankungen wie Harnwegsinfekte, Mittelohrenentzündungen oder andere Atemwegsinfektionen können mit symptomatischer Therapie behandelt werden. Erst wenn diese keinen Erfolg zeigt, sollte auf Antibiotika zurückgegriffen werden. Idealerweise sollte eine mikrobiologische Diagnostik erfolgen und der ursächliche Erreger genau angeschaut werden. Übrigens werden auch bei Kindern viel zu schnell und zu oft Antibiotika verschrieben.
Die Erwartungshaltung bringen doch auch die Patienten mit – schliesslich haben sie den Eindruck, man sei dank Antibiotika wieder schnell auf den Beinen. Die Unzufriedenheit ist dann gross, wenn der Arzt erst einmal Bettruhe und ein entzündungshemmendes Medikament verschreibt…
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Patienten sensibilisiert werden – darüber, dass Antibiotika z.B. gegen Viren wirkungslos sind, und, dass die Gefahr eine Resistenzbildung besteht.
Ein von FMH, pharmaSuisse und BAG erstelltes Faktenblatt «Antibiotikaresistenzen» enthält einfach verständliche Informationen und Empfehlungen rund um die Antibiotikaeinnahme sowie Gründe, warum bei gewissen Infektionen kein Antibiotikum notwendig ist. Das Faktenblatt ist in elf Sprachen erhältlich. antibiotika-richtig-einsetzen.ch.
Welche Hilfsmittel stehen den Ärzten bei der Verschreibung von Antibiotika zur Verfügung?
Die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie (SSI) erarbeitet und publiziert regelmässig Richtlinien, die es den Ärztinnen und Ärzten erlauben, gemäss dem aktuellsten Wissensstand den Antibiotikaeinsatz zu optimieren. ssi.guidelines.ch
Mit der Applikation INFECT des Schweizerischen Zentrums für Antibiotikaresistenzen ANRESIS werden die aktuellen Resistenzdaten übersichtlich angezeigt. Darin enthalten sind auch die Verschreibungsrichtlinien der SSI. INFECT ist abrufbar unter infect.info. Unter anresis.ch finden Sie zudem allgemeine Informationen und aktuelle Trends.
Sie sind Fachärztin für Infektiologie und Innere Medizin. Was genau umfasst Ihr Aufgabenbereich bei Synlab?
Seit meinem Studienabschluss habe ich in Spitälern mit stationären oder ambulanten Patienten gearbeitet. In diesem Zusammenhang habe ich gemerkt, dass die Kommunikation zwischen Labor und Ärzten nicht immer optimal ist. Die Fachspezialisten für Labormedizin haben etwa eine ganz andere Sprache als die Ärzte. Immer wieder kommt es deshalb zu Missverständnissen. Meine Funktion als Klinikerin bei Synlab ist nun, die Brücke zu schlagen zwischen Ärzten und Labor. Ich übersetze deren Sprachen und schaue, dass die Ergebnisse der Labors verständlich für die Ärzte sind. Umgekehrt kann sich der Arzt an mich wenden und sich beraten lassen.
Dr. med. Christina Orasch ist Director of Infectious Diseases and Microbiology bei SYNLAB Suisse SA. Ihre Fachgebiete sind Allgemeine Innere Medizin, Infektiologie und Spitalhygiene.
Über der SYNLAB Suisse SA
In der Schweiz ist die SYNLAB Suisse SA an über 20 Standorten vertreten und beschäftigt über 600 Mitarbeitende, die sich täglich für das Wohl der PatientInnen einsetzen. Als kompetente Ansprechpartnerin für unser vollständiges Portfolio medizinischer Labordienstleistungen ist der persönliche Kontakt zu den Kunden ein Markenzeichen von SYNLAB.
Die SYNLAB-Gruppe ist der führende Anbieter von medizinisch diagnostischen Dienstleistungen in Europa. SYNLAB bietet ein umfassendes Angebot an innovativer und zuverlässiger medizinischer Diagnostik für Patienten, praktizierende Ärzte und Kliniken. Als Anbieter des höchsten Leistungsniveaus in der Branche ist SYNLAB der Partner der Wahl für medizinisches Fachpersonal.
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