Herr Fantacci, Ihr Buch über Ihr Leben als Hausarzt umspannt ein Vierteljahrhundert, doch es gibt ein umfassendes Thema: «Droge Arzt». Die heilende Wirkung des Verhältnisses von Hausarzt und Patienten.
Das Wort von der «Droge Arzt» stammt ja vom Psychoanalytiker Michael Balint: Es geht darum, dass sich der Arzt seiner eigenen Wirkung bewusst sein muss. Und dass er sich immer auch mit seiner Persönlichkeit einbringt. Dies kann durchaus gelegentlich negativ sein – man muss sich einfach bewusst sein, dass man Teil einer Beziehung ist. Soeben hatte ich wieder eine Patientin mit chronischen Krankheiten, die ihren Hausarzt verloren hat: «Wenn man wechselt, geht Vertrautheit verloren», meinte sie.
Und durch die Vertrautheit können Sie die Patienten besser zu einem bestimmten Verhalten motivieren. Ihr Einfluss steigt.
Genau. Natürlich funktioniert das nicht immer. Es gibt Patienten, die mehrere MRI machen lassen, obwohl es sinnlos ist, und die schwer beeinflussbar sind. Ich frage dann jeweils: Weshalb möchten Sie diese Untersuchung? Was erwarten Sie? Was wird herauskommen? So bringt man die Menschen oft dazu, auch zu verzichten.
Giovanni Fantacci führt eine Praxis in Niederhasli. Er schloss sein Medizinstudium 1989 ab und gründete seine Praxis im Zürcher Unterland nach Weiterbildungen in der Schweiz und Italien 1997. Sein neues Buch
«Hausarzt 4.0. Ein Plädoyer für die Hausarztmedizin» (Edition Gai Saber) ist auch ein Plädoyer für die Hausarztmedizin.
Also findet sich in einem vertrauensvollen Hausarzt-Patienten-Verhältnis ein gewisses «Spar-Potential»?
Ja, hier liegt ja auch ein Sinn der Hausarzt-Modelle.
Gute Kenntnis von Arzt und Patient führt zu umfassend besserer Behandlung. Doch die Entwicklung geht in die entgegengesetzte Richtung.
Der Trend zu grossen Praxisketten wie Medbase schafft eine gewisse Unverbindlichkeit – von Patientenseite, aber auch bei den Ärzten. Es ist nicht die eigene Praxis, und wenn es nicht passt, zieht man halt weiter. Das hat immerhin den Vorteil, dass sich solche Mediziner zwischenzeitlich wieder bei Praxen wie unserer vorstellen.
Inwieweit kann man die schwindende persönliche Bekanntheit von Arzt und Patient durch die Digitalisierung abfedern? Immerhin bekommen Sie heute rascher und präziser Einblick ins Dossier.
Doch was steht dort? Diagnose-Listen, Pdfs von allen Berichten. Man kann sich dann den Diagnosen entlanghangeln, aber das Menschliche und Zwischenmenschliche finden Sie nicht. Es ist also begrenzt. Aber gewiss, wir haben auch Assistenzärzte, welche die Fälle so auffangen. Ansonsten haben wir unsere «Stammklientel».
«Als ich jung war, war es normal, dass die Spezialisten auch Hausärzte sind.»
Als Beispiel nennen Sie die Behandlung des starken Übergewichts: Hier kann der Arzt als Vertrauensperson eine sehr, sehr prägende Rolle spielen. Der heutige ständig wechselnde Arzt verschreibt dann Ozempic. Ist das am Ende wirklich schlechter?
Nein, die GLP-1-Rezeptor-Agonisten sind tatsächlich wirksam. Ich war selber völlig überrascht über den Effekt. Aber man darf sich nicht vormachen, dass sie die Lösung des Problems sind. Die Patienten müssen trotzdem eine Lifestyle-Änderung vornehmen. Denn sonst steigt das Gewicht sofort wieder, sobald man mit dem Wirkstoff aufhört. Also braucht es andere Lösungen.
Wie kommentieren Sie unter diesen Gesichtspunkten die Telemedizin? Was sagen Sie zu den Ideen, die Apotheker als «Hausärzte light» einzusetzen?
Wir werden darauf angewiesen sein. Es ist ein Zwang der Lage. Vieles geht gut per Telemedizin, zum Beispiel Dermatologie, auch gewisse psychiatrische Beratungen. Und die Apotheker könnten einen Teil der Aufgaben übernehmen, beispielsweise Impfen – warum nicht? Aber bei grundlegenden Dingen wir es schwierig. Man braucht in der Grundversorgung ja beispielsweise noch Labors.
Wie sehen Sie die Entwicklung? Hausärzte werden noch lange fehlen…
… das ist nur eine Frage des politischen Willens. Zwingend ist es nicht. Es hätte schon Folgen, wenn der Gesetzgeber befindet, dass wir neue Modelle anwenden – etwa wie in Holland und Dänemark, wo der Hausarzt eine Steuerungsfunktion hat und die Patienten vorher gar nicht zu den Spezialisten dürfen. Ich bin ganz sicher, das dann Spezialisten wieder zu Hausärzten würden. Das war früher schon so: Als ich jung war, war es normal, dass die Spezialisten auch Hausärzte sind. Aber ohne den entsprechenden politischen Willen lässt sich das nicht ändern.