Bereits in den Corona-Lockdown-Phasen des Jahres 2020 warnten viele Ärzte und Experten laut: Die Konzentration auf Covid (die ja so weit ging, dass Grundversorger-Praxen geschlossen wurden) wird einen hohen Preis kosten. Insbesondere dürfte der massive Rückschlag bei der Krebsprävention längerfristig viele Opfer fordern.
«Covid über alles andere zu stellen, hatte schreckliche Konsequenzen – und wird dies weiterhin haben», resümierte Karol Sikora, ehemals Direktor des WHO Cancer Programme,
jüngst auf Twitter: «Die Regierungen waren damals gewarnt. Aber das Leid tragen die einfachen Menschen.»
31 Länder
Welches Leid – dies deutet nun eine Studie an, bei der das Universitätsspital Basel eine führende Rolle spielte. Auf der Basis von Daten aus der Schweiz einerseits, aus Ungarn andererseits kam ein internationales Team zum Schluss, dass alleine die verzögerten Melanomdiagnosen in Europa 111’500 Lebensjahre gekostet haben dürften.
Und dass dies finanzielle Zusatz-Kosten von rund 7,11 Milliarden Franken versursacht hat.
In der Schweiz war Elisabeth Roider vom USB die federführende Autorin; Co-Leadautor war Kaustubh Adhikari vom University College London.
Als Grundlage der Erhebung dienten Bevölkerungsdaten aus 31 europäischen Ländern. Mit Angaben über 50'000 Patientinnen und Patienten, ergänzt mit Daten aus europäischen Krebsregistern, entwickelte das Team Modelle, um die verlorenen Lebensjahre und die direkten sowie die indirekten Kosten zu berechnen.
Das Melanom ist heutzutage die siebthäufigste Krebsart in Europa. Die Wissenschaftler versuchten nun, das Ausmass des Upstaging der Melanome zu errechnen, das wegen der verschobenen Hautkontrollen beziehungsweise Behandlungen eintrat.
Und dann wurden die Konsequenzen eingeschätzt – mit dem Resultat, dass es wegen der pandemiebedingten Verzögerungen bei der Diagnose rein statistisch mit 111’464 verlorenen Lebensjahren zu rechnen ist. Zugleich entstanden zusätzliche Aufwendungen von rund 7,1 Milliarden Franken (wobei die indirekten Kosten laut den Berechnungen etwa das 20-fache der direkten Kosten ausmachten).
Lektionen für das nächste Mal
Die Ergebnisse zeigten nicht bloss die Wichtigkeit von Präventionsmedizin für die Volkswirtschaft, sagt Elisabeth Roider – sondern sie unterstrichen «auch die Notwendigkeit eines Umdenkens in Richtung Vorsorge und Früherkennung, nicht nur bei Krebserkrankungen und während Krisenzeiten, sondern im Allgemeinen.»
Und klar wird, wie die COVID-19-Pandemie indirekt durch die Verzögerung wichtiger medizinischer Diagnosen und Behandlungen zu schweren Konsequenzen führte. Die Ergebnisse,
so die Mitteilung des USB, seien «ein dringender Appell an Gesundheitssysteme weltweit, angemessene Versorgung auch während Krisenzeiten wie einer Pandemie sicherzustellen.»
Die Studie wird ergänzt durch eine frühere, 2022 veröffentlichte Erhebung, bei der ebenfalls USB-Vertreter führend waren: Diese Arbeit zeigte auf, dass bei älteren (weiblichen) Patientinnen nach den Schweizer Lockdown-Massnahmen 2020 eine höhere Quote an grösseren und fortgeschrittenen Melanomen festgestellt werden musste.