Bei aller Hektik lohnt es sich, einmal innezuhalten und tief durchzuatmen. Wir haben in der Schweiz eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Das zeigt sich in der hohen Lebenserwartung, der grossen Zugänglichkeit zur Spitzenmedizin für die ganze Bevölkerung sowie an der Zufriedenheit mit der Qualität unseres Gesundheitswesens. Ich wage zu behaupten, dass in keinem anderen Land so viele Menschen einen so schnellen und kompletten Zugang zu sehr guter Medizin haben. Doch das kostet.
Dass die Prämien in den letzten Jahren gestiegen sind, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist die Verlagerung der Behandlungen von stationär zu ambulant. Bei immer weniger Operationen ist eine Übernachtung («stationär») notwendig. Weil die Kantone sich jedoch nur bei stationären Behandlungen an den Kosten beteiligen (mit mindestens 55 Prozent), steigert die Zunahme von ambulanten Behandlungen die Kosten für die Prämienzahlenden. Und den Spitälern bleibt ein grösseres Defizit. Der Entlastungseffekt für die Kantone führte im Jahr 2019 verglichen mit dem Jahr 2016 zu einer Mehrbelastung der Prämienzahlenden von über 250 Millionen Franken.
Für mich ist klar: Ein «weiter wie bisher» in der Prämienentwicklung ist keine Lösung. Nachdem die letzten 10 Jahren geprägt waren von mehr Planwirtschaft (Stichwort: Steuerung der Leistungserbringer durch die Kantone), Regulierung und Bürokratie, braucht es nun endlich Schritte in die andere Richtung. Moderate, realistische Ideen liegen auf dem Tisch, sind aber erst teilweise bereit für die Umsetzung.
- Erstens: Wichtige Reformen sind bereit zur Umsetzung. Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas) fordert, dass der Kostenanteil der Kantone konstant bei zirka 25 Prozent liegt. Unabhängig davon, ob eine Behandlung eine Übernachtung im Spital erfordert oder nicht. Efas geht nun in die Schlussrunde im Parlament. Alle konstruktiven Kräfte sind aufgefordert, diese Reform zum Erfolg zu führen, um Fehlanreize (Durchführung von stationären Leistungen anstelle von ambulanten Leistungen, die kostengünstiger sind) zu vermeiden. Weiter müssen endlich der neue Ärztetarif Tardoc eingeführt und die Margen beim Vertrieb von Medikamenten gesenkt werden.
- Zweitens: Entlastung des Mittelstandes durch die Einführung einer Budget-Krankenkasse. Im Gegensatz zu Menschen mit einem tiefen Einkommen erhält der breite Mittelstand keine Prämienverbilligungen. Das ist auch richtig so. Anspruch auf Prämienverbilligungen sollen auch künftig nur jene haben, die in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen leben. Vielmehr soll der Gesetzgeber vorsehen, dass Krankenkassen folgende Versicherungsmodelle anbieten dürfen: Verbindliche Vorsorgenetzwerke anstelle freier Arztwahl, Generikapflicht dort, wo dies medizinisch möglich ist, höhere Franchise und Mehrjahresverträge (wie dies die Gesundheitskommission des Nationalrates bereits fordert).
- Drittens: Fokus auf Qualität und Zugang. Es sollte endlich mehr öffentliche Transparenz über die Qualität der Leistungen im Schweizer Gesundheitssystem erstellt werden. Eine Verlagerung der Vergütung auf die Qualität kann dazu führen, dass nicht einfach nur die Menge, sondern auch das Resultat der erbrachten Leistung bei der Vergütung eine Rolle spielt. Qualität heisst auch, dass Schweizerinnen und Schweizer einen möglichst schnellen Zugang zu in der Schweiz zugelassenen Medikamenten haben. Auch dafür hat sich die Gesundheitskommission des Nationalrates ausgesprochen (der so genannte Zugang ab Tag 0 der Zulassung).
- Viertens: Konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens. Nicht nur das elektronische Patientendossier braucht ein Update, um strukturierte Daten automatisiert austausch- und lesbar zu machen. Überdies hinaus brauchen wir einen Gesundheitsidentifikator (wie dies das Parlament durch Annahme meiner Motion fordert), dank dem die ganze Administration vereinfacht werden kann. Heute sitzen die Versicherer auf einem grossen Datenschatz, den sie und die forschende Pharmaindustrie nicht nutzen dürfen. So ist es ihnen beispielsweise im Falle einer mutmasslich gefährlichen Medikation untersagt, dies den Versicherten mitzuteilen. Auch das will die Gesundheitskommission ändern. Das Einsparpotenzial der Digitalisierung beträgt 10 Prozent der ganzen Gesundheitskosten; das sind über acht Milliarden Franken pro Jahr.
Untauglich sind Ideen, welche einfach mehr Umverteilung ins System bringen, ohne die heutigen Fehlanreize auszubessern (im Gegenteil: die gleichen Kreise wollen den Leistungskatalog der Grundversicherungen stets ausbauen). Und es gilt für die, welche eine ominöse «Kostenbremse» fordern, ohne zu sagen, welche Kosten dann gebremst werden sollen (inklusive der notwendigen Konsequenz eines Behandlungsstopps). Auch die Abschaffung der Grundversicherung ist nicht zielführend. Es gibt verschiedene pragmatische Ideen, deren Umsetzung beim Bundesrat pendent ist oder in der nationalrätlichen Gesundheitskommission mehrheitsfähig waren. Wir müssen diese weiterverfolgen und nicht Luftschlösser bauen.
Andri Silberschmidt, Nationalrat und Vizepräsident FDP.Die Liberalen