«Die Spitäler sind selber schuld»

Santésuisse-Präsident Martin Landolt über defizitäre Spitäler, den Tardoc-Streit, ambulante Pauschalen und unnatürliche Kooperationen.

, 16. Mai 2024 um 05:27
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«Wir haben relativ kleine Regionalspitäler, die ein erschreckend breites Angebot stemmen»: Martin Landolt | Bild: cch
Ein Spital nach dem andern schreibt Defizite. An dieser Misere sind die Krankenkassen schuld. Stimmts?
Nein, die Spitäler beziehungsweise ihre Eigentümer sind selber schuld. Das ist das Resultat des Bestrebens der letzten Jahrzehnte, an möglichst vielen Orten ein möglichst grosses Angebot anzubieten. Dass diese Strategie nicht aufgehen kann, war vorauszusehen. Man kann nicht über Jahre die Gewinne genüsslich einsacken und sobald schwierige Zeiten aufbrechen, die höhere Kostenbasis den Prämienzahlern übertragen. Das ist nicht das, was man unter Wettbewerb versteht.
Streiten Sie ab, dass die Spitaltarife im ambulanten Bereich nicht kostendeckend sind?
Nun, hätten wir Kostendaten wie im stationären Bereich, könnte ich Ihnen diese Frage beantworten. Solange diese Daten fehlen, können die Tarifverhandlungen nicht versachlicht werden. Nicht zuletzt deswegen engagieren wir uns – notabene zusammen mit Hplus – für ambulante Pauschalen. Wir haben im stationären Bereich positive Erfahrungen mit Pauschalen gemacht, weil dort auf einer transparenten Kostenbasis verhandelt werden kann.
Martin Landolt präsidiert seit Mitte 2023 den Krankenkassenverband Santésuisse. Bis Ende letzten Jahres sass der Glarner und frühere BDP-Präsident während knapp 14 Jahren im Nationalrat.
Nicht nur Spitäler sagen, die ambulanten Tarife seien nicht kostendeckend. Auch unabhängige Gesundheitsökonomen sagen es.
Das werden wir herausfinden, sobald die ambulanten Pauschaulen zum Einsatz kommen. Wenn allerdings die Kosten eines Spitals hoch sind, weil zu viele Angebote auf einer zu teuren Infrastruktur angeboten werden, ist es sicher nicht im Sinne unserer Prämienzahlerinnen und –zahler, dies über höhere Tarife zu kompensieren.
Streiten Sie auch ab, dass die Tarifpartnerschaft nicht – oder nicht mehr – funktioniert?
Die Tarifpartnerschaft ist per se schon anspruchsvoll. Leistungserbringer und Krankenversicherer verfolgen unterschiedliche Ziele. Das KVG verlangt relativ viel von dieser Tarifpartnerschaft, bei der heterogene Anspruchsgruppen aufeinandertreffen.
Die Tarifverhandlungen, wie sie geführt werden, werden doch der Heterogenität nicht gerecht.
Wir müssen das gesamte System anschauen und stellen eine pauschale Betrachtung an. Wo im Einzelfall eine spezifische Situation eintritt, müssen wir versuchen, dem Rechnung tragen. Aber über alles gesehen sind wir richtig unterwegs.
Santésuisse-Direktorin Verena Nold und Curafutura-Direktor Pius Zängerle scheinen sich nicht zu mögen. Sprechen wenigstens Sie mit Curafutura-Präsident Konrad Graber?
Ja, ich spreche oft mit Konrad Graber. Wir kennen uns schon lange, waren gemeinsam im Parlament.
Ich frage deshalb, weil Tarifverhandlungen schräg werden, wenn sich an der einen Front zwei Krankenkassenverbände gegenseitig bekämpfen.
Es war gegen die Natur der klassischen Fronten, dass sich bei einem Projekt, dem Tardoc, ein Versicherungsverband mit einem Leistungserbringer arrangiert, während beim anderen Projekt, den Pauschalen, der andere Versicherungsverband mit dem anderen Leistungserbringer zusammenspannte....
Also Curafutura und FMH auf der einen sowie Santésuisse und Hplus auf der anderen Seite...
Ja, da wurde in den vergangenen Jahren viel Energie verschwendet. Man hätte die Ablösung vom Tarmed zügiger anpacken können, wenn die verhärteten Fronten nicht so lange Bestand gehabt hätten.
Wollen Sie damit sagen, dass die Fronten aufgeweicht wurden? Es wäre mir entgangen.
Ja. Wegweisend ist der Zusammenschluss der beiden Organisationen, die den Tardoc beziehungsweise die ambulanten Pauschalen entwickelt haben. Mit der neuen Organisation, der OAAT, gibt es seit letztem Herbst für den ambulanten Bereich nur noch eine Tariforganisation.
Alt Nationalrat Heinz Brand, ihr Vorgänger bei Santésuisse, schreibt in einem Leserbrief, es sei richtig, dass der Bundesrat den Tardoc nicht genehmige: Er sei nicht kostenneutral. Einverstanden?
Diese Diskussion bringt nichts. Der Bundesrat muss jetzt entscheiden. Er hat zwei Projekte auf dem Tisch, den Tardoc sowie ein Gesamtsystem aus Tardoc und Pauschalen. Das eine soll nicht kostenneutral sein; das andere angeblich nicht ausgereift. Aber diese Beurteilung ist Sache des Bundesrats.
An der Aussage von Heinz Brand hinterfrage ich die Kritik der Kostenneutralität. Es steht nirgends im Gesetz, das neue Tarifsystem müsse kostenneutral sein. Im Gesetz steht, die Tarife hätten sachgerecht zu sein.
Es gibt ein mehrseitiges Schreiben des Bundesrates vom Juni 2022, in dem er klare Mindestanforderungen formulierte. Es würde mich freuen, wenn die damals formulierten Kriterien erfüllt sind. Santésuisse will ja auch, dass der Tardoc als Teil eines Gesamtsystems in Kraft tritt und die Pauschalen optimal ergänzt, so wie wir das eingereicht haben.
Sie sagten eingangs dieses Gesprächs, die Kantone tragen eine Mitschuld an der Spitalmisere. Ich nehme an, dies ist der Grund, weshalb Sie ihnen die Planungshoheit entziehen und sie dem Bund übertragen wollen. Glauben Sie wirklich, dass es dadurch besser wird?
Ich sage nicht, dass man den Kantonen zwingend die Planungshoheit wegnehmen soll. Aber man muss über die Kantonsgrenzen hinaus planen. Wir haben eine zu kleinräumige Planung. So besteht der Anreiz, zu viele Spitäler zu unterhalten.
Nur Gesundheitsdirektorinnen, die nicht wiedergewählt werden wollen, schliessen Spitäler.
Ich sage auch nicht, man soll reihenweise Spitäler schliessen. Man muss aber das Angebot der Spitäler hinterfragen. Man macht an zu viel Orten zu viel. Die Unispitäler mit ihren teuren Infrastrukturen führen Bagatellbehandlungen durch, die man andernorts günstiger durchführen könnte. Wir haben relativ kleine Regionalspitäler, die ein erschreckend breites Angebot stemmen wollen, ungeachtet der Fallhäufigkeiten und der Kosten. Die Folge davon ist eine zu hohe Kostenbasis und – noch schlimmer – ein latenter Fachkräftemangel. Wenn nicht aus Spargründen, so müssen sich die Spitäler wenigstens aufgrund des Fachkräftemangels neu aufstellen.
Die Unispitäler sagen, sie müssten auch Bagatellfälle behandeln können, da sie Ausbildner seien.
Jeder findet für sich eine Erklärung, warum er sich nicht bewegen will. Man kann auch in anderen Spitälern ausbilden und entsprechende Kooperationen eingehen.

❌ Lesen Sie weiter: «Kein Mensch will Rationierungen»: Martin Landolt über die Kostenbremse-Initiative.


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