90 Prozent der Viszeralchirurgen sind besorgt über die aktuellen standespolitischen Rahmenbedingungen. Wie nehmen Sie die Situation wahr?
Die Ärzte, insbesonders die Chirurgen, sind politisch kein Thema und kommen nur noch zur Debatte, wenn es um Fragen des Einkommens geht. Dann wird besonders auf den invasiv tätigen Chirurgen herumgehackt. Leute, die sieben Tage die Woche für ihre Patienten auf der Matte stehen, gelten als Exoten und wenn diese dann über eine Million verdienen, kommt sogleich der Vorwurf, sich auf Kosten der Sozialversicherung zu bereichern.
Das klingt nach Frust...
Die Missstände im Gesundheitswesen sind sicher vielschichtig, aber sie sind zu allerletzt bei den diensttuenden Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgen zu suchen, gehören diese doch langsam zur letzten Gruppe in der Gesundheitsversorgung, welche noch für Kontinuität in der Betreuung und Engagement für den Patienten einstehen (24/7).
«Die Politik macht rein gar nichts für die Chirurgie ausser Fallzahlregulationen, welche den letzten Topchirurgen auch noch die Luft abschnürt.»
Dass dies in keiner Weise positiv in den Medien erscheint, ist frustrierend und destruktiv.
Arbeitszeitregelungen behindern zudem eine sinnvolle Weiterbildung massiv und gefährden diesen wunderbaren Eliteberuf nachhaltig, das wird sich in den nächsten 10 Jahren noch auswirken. Es sei denn es kommt zu einer leistungsbejahenden Wende, auch in der Politik.
Gibt es denn keine Partei, welche die Anliegen der Chirurgen auf dem Radar hat?
Die Politik macht rein gar nichts für die Chirurgie ausser Fallzahlregulationen, welche den letzten Topchirurgen auch noch die Luft abschnürt. Wer pro Jahr, unabhängig von seiner Lebenszeiterfahrung bei gewissen relativ seltenen Eingriffen der HSM (hochspezialisierte Medizin) weniger als zehn Operationen vorzuweisen hat, fällt von der Liste. Ich kenne keinen Berufstand mit ähnlichen politischen Zwängen, es ist ein Skandal, dass wir da zu keiner Gegenwehr fähig scheinen. Die Politik hat dafür kein Auge und keinen Sinn, jegliches massvolle Handeln ist – wahrscheinlich aufgrund einer generellen Überforderung aller im Umgang mit den Entwicklungen im Gesundheitswesen – abhanden gekommen. Das gleiche gilt für das Honorarwesen und die Über-Kontrolle der Versicherungen mit unermesslichem Anstieg der Verwaltungskosten!
Othmar Schöb ist Professor für Viszeral- und Thoraxchirurgie an der Klinik Hirslanden und war bereits mit 36 Jahren Chefarzt am Spital Limmattal. Sein Fokus liegt auf der Weiterbildung für chirurgische Fachrichtungen; dazu betreibt er mit dem Chirurgischen Zentrum der Klinik Hirslanden eine privatwirtschaftlich organisierte
Weiterbildungsstätte. Er ist verheiratet, Vater von vier Kindern und begeisterter Alpinist.
Haben Sie Lösungsvorschläge?
Das wichtigste wäre ein Marschhalt beim Leistungsausbau in der Grundversicherung. Versichert wäre demnach nur, was die Menschen vor Notlagen und veritablen Krankheiten schützt . Sämtliche Bagatellen müssen entweder selbst bezahlt werden, oder falls Infrastruktur beansprucht wird (Notfallstation, Besuch beim Arzt) müsste ein Selbstbehalt von 50 Franken eingeführt werden.
«Der Arztberuf muss ein freiheitlicher Beruf bleiben oder wieder werden können, auch in der Aus-und Weiterbildungsperiode.»
Beim Arztberuf braucht es eine drastische Deregulierung und Stopp in der gewerkschaftlichen Entwicklung. Der Arztberuf muss ein freiheitlicher Beruf bleiben oder wieder werden können, auch in der Aus-und Weiterbildungsperiode. Die Chirurgen haben es satt, von einer Gewerkschaft aus den eigenen Reihen dauernd angeprangert zu werden und qualitative Substanz in der Weiterbildung so zu verlieren und abzubauen!
Sie schreiben in einem LinkedIn-Post, dass Sie von allen «mehr Extrameilen» erwarten. Was meinen Sie damit?
Ich meine mit Extrameilen drei Dinge: Erstens mehr Einsatz aller Berufskollegen für den Ärztestand der Chirurgen (politische Aufmerksamkeit). Zweitens volles Engagement aller Fachärzte, Chefärzte, Belegärzte Ordinarien in der Aus und Weiterbildung und im Kampf um die Regelung der Arbeitszeit und Rückgewinnung der freiheitlichen Berufsausübung ohne den VSAO als Grahlshüter und drittens durch positives Erscheinen intrinsische Motivation in allen Weiterbildungskandidatinnen und Kandidaten zu fördern und zu entfachen.
Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde schriftlich geführt.