Schon vorbei? Britische Ärzte wollen keine Physician Associates mehr

Die führenden Medizinerverbände der Insel fordern, dass der Einsatz von Klinischen Fachspezialisten in den Praxen gestoppt wird.

, 22. Oktober 2024 um 08:00
image
Die Grenzen verschwimmen: PA in Grossbritannien  |  Bild: General Medical Council
Die Physician Associates oder Physician Assistants galten noch vor Kurzem als Zukunftsberuf. Und dabei gehörte Grossbritannien – nach den USA – zu den Ländern, wo die neue Funktion früh aufkam, früh strukturierte Bildungswege erhielt und recht starke Wurzeln bilden konnte. Die ersten PA-Nachdiplom-Programme wurden in England 2008 gestartet, und inzwischen ist es dort gang und gäbe, dass Fachspezialisten mit einer Zusatzausbildung ärztliche Aufgaben direkt am Patienten übernehmen.
Heute sind knapp 4’000 PA’s (so die Abkürzung) zwischen Südengland, Nordschottland und Ulster tätig, davon knapp die Hälfte in NHS-Kliniken – und die andere Hälfte in Praxen.
Damit soll nun Schluss sein. Das zuständige Gremium der British Medial Association entschied am 17. Oktober 2024, dass die Physician Associates aus den Hausarzt-Praxen verdrängt werden sollen. Eine «überwältigende Mehrheit der Mitglieder» – so die Mitteilung – sprach sich dafür aus, dass keine neuen PA in den Praxen engagiert werden; auch sollen die heute tätigen Fachspezialisten nicht länger unbeaufsichtigt im Patientenkontakt eingesetzt werden.

Mehr Personal, aber…

«Die Rolle eines Physician Associates ist nicht genügend ausgebildet für die Behandlung undifferenzierter Patienten, und es sollte ein sofortiges Moratorium für solche Behandlungen geben», heisst es im Beschluss.
Oder anders: Die British Medical Association erachtet die Patientenbetreuung mit PA als zu unsicher. Zumindest momentan.
«Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Allgemeinmedizin dringend mehr Personal brauchen», sagt Katie Bramall-Stainer, die Vorsitzende des zuständigen Hausarzt-Gremiums. «Aber wir müssen ebenfalls sicherstellen, dass das Personal, welches Patienten behandelt, genügend geschult und kompetent ist, um unbeaufsichtigt zu behandeln.»
Ende September hatte bereits das Royal College of General Practitioners, der andere prägende Verband der Allgemeinmediziner, ein ähnliches Dekret erlassen: Mit einer knappen Zweidrittels-Mehrheit beschloss dessen Hausarzt-Komittee «to oppose a role for Physician Associates working in general practice».

Wenn schon, dann im Spital

Die BMA schlägt nun vor, dass innerhalb des NHS-Spitalsystems nach neuen Aufgaben und Funktionen für die Klinischen Fachspezialisten gesucht wird.
Bemerkenswert ist der britische Vorgang, weil der Physician Associate jüngst noch als aufstrebender Beruf gefeiert wurde – und als hoffnungsvoller Ansatz gegen den Ärztemangel. Indem diese Arztassistenten delegierbare Tätigkeiten selbständig ausüben, könnten sie die Mediziner deutlich entlasten: So die Idee.
Die Fachspezialisten haben eine medizinische Grundausbildung – etwa in der Pflege – sowie eine Zusatzausbildung. In der Schweiz begannen die ersten Versuche mit PA’s (die hier ebenfalls oft so genannt werden) vor ziemlich genau zehn Jahren. Heute arbeiten Klinische Fachspezialisten in rund 50 Institutionen. Landesweit sind etwa 100 Personen in diesem Berufsfeld tätig, die Mehrheit davon in der Deutschschweiz. Allerdings finden sie sich hierzulande nicht im ambulanten Bereich – unter anderem, weil sich ihre Aufgaben dort schwer tariflich abbilden lassen. (Mehr: «Junger Beruf im Aufwind», SAEZ, Januar 2024.)
Der britische Stopp erklärt sich offenbar auch aus einer unklaren Definition und Überwachung der Funktion. So kam es in letzter Zeit, dass gerade wegen der Überlastung der Ärzte mehr und mehr Aufgaben – quasi schleichend – zu den PA’s wanderten, ohne dass diese dafür genügend ausgebildet waren (mehr). Der Tod einer jungen Frau, welcher Fehldiagnosen durch PA zugeschrieben wurde, heizte die Diskussion dann vollends auf (mehr, mehr, mehr).
Kommt hinzu, dass die Regierung dieselbe Aufsichtsbehörde für PA wie für Ärzte einsetzen will – was die Mediziner irritiert. Der ärztliche Widerstand gegen die Physician Associates will also auch Klarheit durch Abgrenzung schaffen; und darin manifestiert sich vielleicht auch in gewisses Standesbewusstsein.
  • Die «Schweizerische Ärztezeitung» erläutert in einem jüngst erschienenen Beitrag die Rolle und Unterschiede von Advanced Practice Nurses und Physician Associates im Schweizer System (SAEZ 41-42, 9. Oktober 2024).

  • praxis
  • Fachkräftemangel
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Die Idee: Vollzeit-Ärzte erhalten 1000 Euro Prämie – pro Monat

In Niederösterreich will man Spitalärzte motivieren, ihr Pensum zu erhöhen. Denn bereits ein Drittel ist teilzeitbeschäftigt.

image

«Wir verzichten auf unnötige Dokumente wie Motivationsschreiben»

Die Spitex Region Schwyz hat so viele Job-Interessierte, dass sie Wartelisten führen muss und darf. Wie schafft man das? Die Antworten von Geschäftsführer Samuel Bissig-Scheiber.

image

LUKS: Neues Arbeitsmodell in der Pflege

Weniger Betten pro Pflegefachperson, mehr administrative Aufgaben für FaGe, mehr Ausbildungsplätze: Das Luzerner Kantonsspital testet Wege, um das Berufsfeld attraktiver zu machen.

image

Plädoyer für die Teilzeit-Krankschreibung

Es sei überholt, dass man nur ganz krank oder gar nicht krank sein kann, findet der oberste Arzt Deutschlands.

image

Ambulante Pauschalen: Chirurgen verlangen mehr Mitsprache

Die FMCH kritisiert, dass der Input der Spezialärzte in der OAAT zuwenig beachtet wurde. Und sie bietet an, bei der Überarbeitung der Pauschalen stärker mitzuwirken.

image

USB, KSBL, CHUV, HFR, LUKS, Insel: CEOs gesucht!

Gleich reihenweise suchen grosse Spitäler nach neuen Direktoren – mit sehr unterschiedlichen Anforderungsprofilen.

Vom gleichen Autor

image

Auch Graubünden will Spitäler mit 100 Millionen stützen

Das Geld würde aber nicht direkt an die Betriebe gehen. Zudem sollen Spitäler leichter in Gesundheitszentren verwandelt werden können.

image

US-Software für das USZ? Debatte um eine Beschaffung

Vor dem Entscheid über ein neues Klinikinformationssystem beim Universitätsspital Zürich schalten sich Parlamentarier ein – aus allen Richtungen und mit einem klaren Wink.

image

Service-Personal zu Pflege-Personal

Die Helios-Kliniken in Deutschland haben eine neue Idee gegen den Fachkräftemangel: Sie entlassen externe Service-Angestellte. Und bieten ihnen dann eine Pflege-Ausbildung an.