Darum litt auch die Schweizer Krebsforschung unter Corona

Experten warnen vor einer Krebsepidemie in Europa. Der Schweizer Krebsarzt Thomas Cerny sagt, wie auch die Schweizer Krebsforschung gelitten hat.

, 15. Dezember 2022 um 06:00
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Thomas Cerny, Präsident der Krebsforschung Schweiz. | zvg
Die europäische Krebsforschung könnte wegen der Covid-19-Pandemie um fast ein Jahrzehnt zurückgeworfen werden: So heftig warnt ein neuer Bericht der Kommission der wissenschaftlichen Krebs-Fachzeitschrift «Lancet Oncology» vor grossen Lücken in der Krebsforschung.

Klinische Forschung fast gestoppt

Thomas Cerny, Präsident der Krebsforschung Schweiz, sagt dazu: Auch in der Schweiz habe ein Teil der Krebsforschung stark gelitten. Nämlichvor allem die klinische Krebsforschung, die unabhängig von Firmen ist. «Hier sind wohl einige Jahre nachzuholen, wobei wir dies noch nicht genau beziffern können», sagt der Experte.
Der Grund dafür: «Die Teilnahme der Patienten an klinischen Studien wurde massiv erschwert und teilweise konnten geplante oder laufende Studien ihre Ziele nicht erreichen.» Das heisst, manche Studien wurden gar nicht erst gestartet oder mussten vorzeitig geschlossen werden. «Genaue Zahlen dazu haben wir noch nicht.»

Laborforschung hat politische Probleme

Weniger von der Pandemie betroffen war die Laborforschung. Dort gab es zwar Verzögerungen wegen Personalausfällen, Reisebeschränkungen und Lieferproblemen. Doch dafür hat die Laborforschung mit politischen Problemen zu kämpfen: Die Kündigung des Rahmenabkommens mit der EU hat auch die Schweizer Krebsforscher vom Milliardenprogramm Horizon Europe ausgeschlossen.
Cerny ist überzeugt: «Auch wir müssen die Defizite in der Krebsforschung aufholen.» Das sei allerdings schwierig. Denn der Bund und die Kantone beteiligen sich nicht an der nationalen Krebsstrategie. Sie wird laut Cerny von Oncosuisse, der Krebsliga Schweiz und der Krebsforschung Schweiz über private Gelder finanziert. «Das ist in keinem westlichen Land so und erschwert auch eine effiziente nationale Krebsfrüherkennung und Prävention», kritisiert Cerny.

Europa fordert 50 Euro pro Kopf

In Europa wurde die Krebsforschung zwischen 2010 und 2019 von der öffentlichen Hand immerhin mit durchschnittlich 26 Euro pro Kopf unterstützt. Doch auch das ist im Vergleich mit den Vereinigten Staaten wenig. Dort waren es im gleichen Zeitraum 234 Euro pro Kopf. Die Kommission fordert nun eine Verdoppelung des europäischen Budgets auf 50 Euro pro Kopf bis 2030.
Nicht nur die Forschung hat während der Pandemie gelitten. Der Bericht geht davon aus, dass in den letzten zwei Jahren in ganz Europa eine Million Krebserkrankungen aufgrund der COVID-19-Pandemie unentdeckt geblieben seien. Denn viele Krebspatienten gingen nicht zum Arzt, bei weiteren verzögerte sich die Behandlung.

Mehr verspätete Diagnosen

In der Schweiz liegen noch keine aktuellen Zahlen über Krebsdiagnosen vor. «Daten aus dem Ausland zeigen aber, dass deren Zahl vor allem im März und April 2020 um einen Viertel bis zur Hälfte eingebrochen ist», sagt Cerny. Zwar wurde danach offenbar in den meisten Ländern das Niveau der Vorjahre wieder erreicht, die entstandene Lücke wurde jedoch nicht kompensiert. Es wird deshalb ein Anstieg von vermeidbaren Krebs-Todesfällen aufgrund verspäteter Diagnosen erwartet.
«Da die Screening Programme auch in der Schweiz während sechs Wochen unterbrochen waren, gehen wir auch für die Schweiz von einem Rückgang der Zahl der Krebsdiagnosen aus», sagt Cerny.

Weniger krebsbedingte Spitalaufenthalte

Weitere Zahlen für die Schweiz sind ebenfalls bedenklich: Das Bundesamt für Statistik registrierte im Frühling 2020 nahezu 4000 tumorbedingte Hospitalisierungen weniger – das ist ein Minus von 16 Prozent –, obwohl krebsbedingte stationäre Spitalaufenthalte eine zeitnahe Behandlung erfordern. Dieser Rückgang wurde anschliessend nicht vollständig aufgeholt. Die Zahl der Hospitalisierungen aufgrund eines Tumors lag 2020 um 4 Prozent tiefer als in den Vorjahren.
Generell ist Thomas Cerny überzeugt, dass die Entwicklung in der Schweiz etwa parallel zu anderen zentraleuropäischen Ländern verlaufe. Allerdings wohl nicht auf gleich hohem Niveau, wie er einschränkt. «In unserem reichen Land mit einer gewissen Überversorgung an medizinischen Angeboten ist die Entwicklung wohl weniger ausgeprägt.»
Trotzdem unterstützt auch Cerny die Grundforderungen im Bericht der Kommission von «Lancet Onkology», nämlich eine Aufstockung der Geldmittel für die Krebsforschung.

Zur Person

Thomas Cerny ist einer der bekanntesten Krebsmediziner der Schweiz. Der Berner war von 1998 bis zur Pensionierung 2017 Chefarzt Onkologie/Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen.

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