Frauen in Gesundheitsberufen hätten heute allen Grund zu streiken. Doch die meisten tun es nicht. Ist seit dem letzten Frauenstreik vor vier Jahren alles besser geworden? Mitnichten.
Tiefe Löhne, keine Kinder
Nach wie vor sind die Löhne in der Pflege tief. Und nach wie vor ist es für junge Ärztinnen schwierig, Kinder zu haben, weil man von ihnen in der Assistenzzeit 50-Stunden-Wochen erwartet.
Nach wie vor, verdienen zum Beispiel Hebammen sehr wenig, obwohl sie studiert haben und sie oft die Verantwortung über Leben und Tod haben.
«Schwester», kommen Sie bitte?
Noch immer müssen sich Ärztinnen gegen Vorurteile wehren: Sie werden mit «Schwester» angesprochen oder noch schlimmer: Patienten verlangen «einen richtigen Arzt».
Trotzdem sieht es heute kaum in einem Spital so aus, wie
am Streiktag vor vier Jahren. 2017 mobilisierte der Frauenstreik gewaltig. Viele Angestellte trugen lila Uniformen.
Unterstützen statt streiken
Dieses Jahr gibt es nur kleinere Aktionen – wenn überhaupt. Der Schweizerische Hebammenverband «unterstützt» zwar den Streik.
Doch nur mit Worten: «Alle Verbandsmitglieder werden aufgefordert, sich mit dem Slogan «Hebammen unterstützen Frauen – Frauen unterstützen Hebammen» auf ihre ganz persönliche Weise einzubringen.»
Es gibt drei Gründe für dieses geringe Interesse:
- Die Corona-Pandemie hat die Spital-Angestellten viel Energie gekostet. Auch die Sparmassnahmen setzen sie unter Druck. Fürs Streiken bleibt schlicht keine Zeit und keine Motivation.
- Der einstige Frauenstreik ist neu ein «feministischer Streik». Die Namensänderung entzweite Frauen und Gewerkschaften. Bürgerliche Frauen wendeten sich ab. Der Begriff «feministisch» ist für viele ein links gefärbtes Reizwort – auch in den Spitälern.
- Zumindest beim Pflegepersonal ist der Druck zum Streiken geringer geworden. Denn derzeit werden die Forderungen der Pflege-Initiative umgesetzt. Die Pflegefachfrauen können deshalb auch ohne Streik auf Besserungen hoffen.
Frauen verdienten fast einen Drittel weniger
Noch vor vier Jahren war die Situation anders. Eine
Studie zeigte damals, dass der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männer nirgends so gross sei wie im Gesundheitswesen. 29,6 Prozent betrug dieser Unterscheid in der Kategorie «Akademische und verwandte Gesundheitsberufe».
Das heisst: Damals verdienten Frauen im Gesundheitswesen fast einen Drittel weniger als ihre Kollegen. Für die meisen Spital-Mitarbeiterinnen war es deshalb auch keine grosse Frage, ob sie streiken.
So farbig waren Schweizer Spitäler 2019: Lila Protestaktion auf dem Dach des Berner Inselspitals. | Meret Schindler/ Vpod
Frauen brachten alles unter einen Hut
Gleichzeitig war damals aber auch klar: Einen richtigen Frauenstreik mit allen Konsequenzen
musste kein Spital befürchten. Die Spitalverantwortlichen verliessen sich voll und ganz darauf, dass ihre weiblichen Angestellten am 14. Juni alles – das Streiken und das Arbeiten – unter einen Hut bringen würden.
Und das taten sie auch: Die Frauen streikten – und gleichzeitig organisierten ihre Arbeit so, dass der Spitalbetrieb weiterlief. Dieses Jahr müssen sich die Spitalverantwortlichen noch weniger sorgen: Dem feministischen Streik schliessen sich nur wenige an.