In der Schweiz haben dank der obligatorischen Krankenversicherung alle Personen Zugang zu einer medizinischen Versorgung. Mit einer freiwilligen Zusatzversicherung lassen sich bei einer stationären Behandlung zudem weitere Leistungen wie etwa ein Einzelzimmer oder freie Arztwahl sichern.
Während die Krankenkassen die Behandlung der Grundversicherten mit einer Fallpauschale abgelten, können die Spitäler bei zusatzversicherten Personen weitere Honorare abrechnen, die teilweise der Ärzteschaft zugutekommen.
Unnötige Behandlungen?
Seit Längerem wird vermutet, dass dadurch erhöhte finanzielle Anreize bestehen, die zu unnötigen Behandlungen bei den Zusatzversicherten führen können.
Nun haben Forschende der Universität Basel und des Kantonsspitals Aarau untersucht, ob sich bei kardiovaskulären Eingriffen ein Unterschied nach Versicherungsstatus nachweisen lässt.
600'000 Daten ausgewertet
Dabei wurden geplante Spitaleintritte von insgesamt 590'000 erwachsenen Patientinnen und Patienten ausgewertet, die von 2012 bis 2020 stationär behandelt worden waren (Daten: Bundesamt für Statistik, BFS).
Rund 105'000 Behandlungen betrafen acht verschiedene kardiovaskuläre Eingriffe, zum Beispiel die Erweiterung von verengten Herzkranzgefässen oder das Einsetzen eines Herzschrittmachers. Davon wurden 64,4 Prozent über die Grundversicherung abgerechnet.
Die Forschenden analysierten den umfangreichen Datensatz mittels statistischer Verfahren auf Unterschiede, die mutmasslich mit dem Versicherungsstatus der Patienten zusammenhängen und sich nicht durch Merkmale wie das Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen oder die Grösse und Art des Krankenhauses erklären lassen.
Privat versus Allgemein
«Generell zeigte sich sowohl bei den Grundversicherten als auch bei Personen mit einer privaten Zusatzversicherung über die Studienjahre eine Zunahme der Eingriffe am Herzen – mit Ausnahme der ersten beiden Covid-19-Wellen im Jahr 2020», ist der
Medienmitteilung des Unispitals Basel zu entnehmen.
«Wir beobachten ein Missverhältnis in der Behandlung der beiden Gruppen, das sich nicht durch die Patientenmerkmale erklären lässt.»
Tristan Struja, Studienautor.
Bei den Zusatzversicherten sei jedoch die Wahrscheinlichkeit, einen kardiovaskulären Eingriff zu erhalten, um elf Prozent höher gewesen als bei grundversicherten Personen. Das entspriche schweizweit 895 zusätzlichen Eingriffen pro Jahr.
OPs «schwer zu rechtfertigen»
«Wir beobachten ein Missverhältnis in der Behandlung der beiden Gruppen, das sich nicht durch die Patientenmerkmale erklären lässt», wird Studienautor Tristan Struja zitiert.
«Unsere Daten weisen darauf hin, dass Personen mit Zusatzversicherungen Behandlungen erhalten, die sich medizinisch nur schwer rechtfertigen lassen und daher möglicherweise unnötig sind.»
Tatsächlich sind Personen mit einer privaten Zusatzversicherung tendenziell besser ausgebildet, verfügen über ein höheres verfügbares Einkommen, sind gesünder und werden seltener in ein Spital eingewiesen als Personen, die nur eine Grundversicherung haben.
«Folglich sollten an ihnen sogar weniger Eingriffe vorgenommen werden», ist weiter zu lesen.
Vermutete Gründe
Die Gründe für die unterschiedliche Behandlung vermuten die Studienautoren nicht in klinischen Überlegungen.
«Für die Spitäler gibt es ökonomische Anreize, an dieser lukrativen Patientenklasse Eingriffe vorzunehmen, anstatt darauf zu verzichten.»
Philipp Schütz, Forschungsgruppenleiter am Departement Klinische Forschung der Universität Basel.
«Wir nehmen an, dass Personen mit einer privaten Zusatzversicherung die medizinische Versorgung stärker in Anspruch nehmen, unter anderem weil sie mehr Geld für ihre Krankenversicherung ausgeben», so Philipp Schütz, Forschungsgruppenleiter am Departement Klinische Forschung der Universität Basel.
«Gleichzeitig bestehen für die Spitäler klare ökonomische Anreize, an dieser lukrativen Patientenklasse Eingriffe im stationären Rahmen vorzunehmen, anstatt darauf zu verzichten oder sie zumindest ambulant durchzuführen», ist sich Schütz sicher.
Dies führe dazu, so die Studienautoren, dass Gesundheitsdienstleistungen ineffizient erbracht würden.
Die Empfehlung
Die Forschenden empfehlen, die Pauschalen für Privatpatienten zu überdenken und die Anreize stärker auf die Qualität der Versorgung auszurichten.
Hier geht es zur Originalpublikation.