Koordinierte Versorgung: «It's the incentive, stupid!»

Der Bundesrat möchte die Koordination in der Versorgung verbessern. Sein Vorschlag verfehlt jedoch das Ziel. Besser ist es, die Datenschätze der Krankenversicherer dafür einzusetzen.

, 13. Mai 2023 um 04:00
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Wolfram Strüwe, Leiter Gesundheitspolitik und Unternehmenskommunikation bei Helsana. | zvg
«Gopfried Stutz!», möchte man schreiben, wenn man die bundesrätlichen Bemühungen um eine bessere Koordination der Versorgung betrachtet. Mit der Botschaft zum zweiten Kostendämpfungspaket möchte er «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» schaffen. Gesundheitsfachpersonen unterschiedlicher Berufe sollen sich unter ärztlicher Leitung verbindlich zusammenschliessen, um eine den Patientenbedürfnissen entsprechende medizinische Betreuung «aus einer Hand» anzubieten. Explizit soll eine neue Leistungserbringerkategorie geschaffen werden, natürlich mit kantonalem Leistungsauftrag, damit das gut koordiniert vonstattengeht.

«Wenn es um Anreize geht, kennen sich Krankenversicherer bestens aus. Sie stehen zueinander in Konkurrenz.»

Da stellt sich die Frage, was dieser «Koordinator» denn nun besser kann als alle bestehenden Leistungserbringer, wenn die sich besser koordinieren würden. Nichts, natürlich! Was ist zu tun, damit dies gelingt? Man darf da wieder mal getrost in Anlehnung an Bill Clinton mit «It's the incentive, stupid!» antworten.
Wenn es um Anreize geht, kennen sich Krankenversicherer bestens aus. Sie stehen zueinander in Konkurrenz, Kundenhaltung und Kundengewinnung – die Portfoliopflege – stehen im Fokus. Das gelingt nur mit einer konkurrenzfähigen Prämie, gerade bei einem so transparenten Produkt wie der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP).
Diese Aktivitäten unterliegen jedoch einer sozialpolitisch motivierten Restriktion, die den Wettbewerb stark reguliert: Es besteht Aufnahmezwang ohne Kündigungsrecht und Gesundheitsprüfung des Versicherers. Dies führt dazu, dass Krankenversicherer mit vorwiegend gesunden Versicherten tiefere Prämien anbieten können, da die Leistungskosten tiefer sind.
So wechseln vor allem Gesunde zu diesen Versicherern, mit der Konsequenz, dass der im darauffolgenden Jahr noch tiefere Prämien anbieten kann. Der teurere Versicherer hingegen muss noch höhere Prämien verlangen, da er das gleiche Kostenvolumen mit weniger Versicherten finanzieren muss. Letztlich bricht der Markt zusammen.

«Der Risikoausgleich war in der Vergangenheit höchst unzureichend. Risikoselektion hat sich für die Versicherer gelohnt.»

Um dies zu verhindern, gibt es einen Risikoausgleich unter den Krankenversicherern. Jene, die ein gesünderes Versichertenkollektiv haben, müssen an jene, die Kränkere versichern, Ausgleichszahlungen leisten.
Der Risikoausgleich (RA) war in der Vergangenheit höchst unzureichend. Risikoselektion hat sich für die Versicherer gelohnt. Dies wurde 2007 geändert. Das Parlament hat den RA dauerhaft im KVG verankert und dem Bundesrat die Kompetenz übertragen, ihn weiterzuentwickeln. Und der hat gehandelt. Bei vielen Krankheitsbildern ist es für die Versicherer attraktiv geworden, mehr für die Versorgung zu tun. Grund dafür ist die Mechanik des RA: Alle Versicherer bekommen in einem Jahr für eine bestimmte Krankheit den gleichen Betrag aus dem RA.
Dieser Betrag wird anhand der vorjährigen Kostendaten berechnet. Gelingt es einem Krankenversicherer, die Behandlungskosten im laufenden Jahr unter diesen Risikoausgleichsbetrag zu senken, hat er einen unmittelbar wirksamen Prämienvorteil gegenüber der Konkurrenz. Ein starker Anreiz für eine andere Portfoliopflege.

«Krankenversicherer könnten ihre Versicherten über schädliche Wechselwirkungen von Medikamenten informieren. Nur: Sie dürfen diese neue Rolle nicht wahrnehmen.»

Allein die Krankenversicherer wissen, welche Leistungen in welchen Mengen von welchen Leistungserbringern über den gesamten zu koordinierenden Behandlungspfad hinweg bei ihren Versicherten erbracht werden. So könnten sie beispielsweise ihre Versicherten über schädliche Wechselwirkungen von Medikamenten informieren. Nur: Sie dürfen diese neue Rolle nicht wahrnehmen, weil das KVG dies nicht vorsieht.
Die nationalrätliche Gesundheitskommission hat dieses Manko Ende April erkannt. Sie hält fest, dass es namentlich den Krankenversicherern erlaubt werden solle, die Daten ihrer Versicherten zu nutzen, um diese individuell über mögliche Einsparungen oder passendere Versorgungsmodelle zu informieren. Ein guter Entscheid für eine effizientere und qualitativ bessere Versorgung.
Wolfram Strüwe, Leiter Gesundheitspolitik und Unternehmenskommunikation bei Helsana.

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