Longevity: Wenig Interesse bei Schweizer Ärzten

Der internationale Trend zu Longevity erreicht die Schweiz erst langsam. Es sei schwierig, Fachärzte für das Thema zu begeistern, sagt Tobias Reichmuth, Verwaltungsrat einer Langlebigkeitsklinik.

, 20. Januar 2025 um 15:58
letzte Aktualisierung: 4. März 2025 um 09:49
image
Gesund altern ist das Ziel von Longevity. Bild: Symbolbild/Unsplash
Im Juli 2024 wurde in Zürich mit Ayun das erste das erste Walk-In Longevity-Zentrum der Schweiz eröffnet. Während die Medizin der Langlebigkeit in Ländern wie den USA, China und Saudi-Arabien längst etabliert ist, steckt sie hier noch in den Anfängen.
«Die Schweiz hinkt hinterher», sagt Tobias Reichmuth, Board Member bei Ayun und Gründer der Maximon-Gruppe. Besonders Saudi-Arabien investiere massiv in die Forschung: Die Hevolution-Stiftung unter Kronprinz Mohammed bin Salman stellt jährlich eine Milliarde Dollar für die Entwicklung von Langlebigkeits-Konzepten bereit.
Die Schweiz hat im Bereich Longevity aus verschiedenen Gründen Nachholbedarf. Zum einen sei die Marktentwicklung spät angelaufen: Während der Longevity-Markt in den USA schon seit Jahren wächst, kommt der Trend erst langsam nach Europa und in die Schweiz.
«Ein Paradigmenwechsel von reaktiver Behandlung hin zu Prävention erfordert ein Umdenken - und das ist für viele Ärzte unbequem.» — Tobias Reichmuth
Zum anderen sei das Gesundheitssystem traditionell auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet, weniger auf Prävention, sagt Reichmuth.
Diese Herausforderungen spiegeln sich auch in der Praxis wider. Bereits die Suche nach geeigneten Fachärzten für Ayun habe sich schwierig gestaltet: «Es war nicht einfach, Fachärzte zu finden, die sich mit Longevity auskennen und die sich damit befassen möchten», sagt Reichmuth. Teilweise sei gar eine gewisse «Sperrhaltung» gegenüber dem Thema spürbar.
Tobias Reichmuth vermutet: «Ein Paradigmenwechsel von reaktiver Behandlung hin zu Prävention erfordert ein Umdenken – und das ist für viele Ärzte unbequem.»

Prävention

Das Ziel der Longevity-Medizin ist klar: Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen, anstatt sie später zu behandeln. «Gesunde Menschen sollen gesund bleiben», fasst es Reichmuth zusammen.
Ein Blick auf die Schweizer Statistik zeigt, warum dieser Ansatz notwendig ist.
Zwar liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 85,4 Jahren für Frauen und 81,6 Jahren für Männer, doch die Jahre in guter Gesundheit sind deutlich geringer: 71,2 Jahre bei Frauen und 70,8 Jahre bei Männern. Die letzten Lebensjahre sind oft von Krankheiten und eingeschränkter Lebensqualität geprägt.
Hier setzt die Longevity-Medizin an. Mithilfe von Biomarker-Analysen, umfangreichen Bluttests und DNA-Analysen sollen gesundheitliche Risiken frühzeitig erkannt und individuelle Pläne zur Gesundheitsförderung erstellt werden.

Wachsende Nachfrage und Vorbehalte

Seit der Corona-Pandemie habe das Bewusstsein für die Gesundheit stark zugenommen, stellt Reichmuth fest. Viele Menschen würden ihren Lebensstil hinterfragen und seien bereit, in ihre Gesundheit zu investieren. Allerdings bleibt die Nutzung moderner Technologien wie DNA- oder Bluttests für viele ein sensibles Thema, so Reichmuth. Denn diese Tests decken oft Dinge auf, die man nicht sofort sieht. «Viele Menschen wirken äusserlich fit, aber die Daten erzählen dann eine andere Geschichte.»

Die Rolle der Krankenkassen

Ein entscheidender Faktor für die Weiterentwicklung der Longevity-Medizin in der Schweiz ist die Einbindung der Krankenkassen. Aktuell müssen die meisten Behandlungen privat finanziert werden.
Reichmuth berichtet jedoch von laufenden Gesprächen mit Versicherern, um Longevity-Leistungen in Zusatzversicherungen aufzunehmen. Langfristig könnten Versicherungsmodelle entstehen, die gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen, etwa durch niedrigere Prämien. Doch die Frage bleibt: Welche Leistungen sollten erstattet werden – und wie definiert man die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit?
Langlebigkeit ist längst kein medizinisches Nischenthema mehr, sondern ein rasant wachsender Milliardenmarkt. Laut «Forbes» könnte die globale Anti-Aging-Industrie bis 2025 einen Wert von 610 Milliarden US-Dollar erreichen. Ein Vorreiter ist das Start-up Altos Labs, das mit einem Startkapital von drei Milliarden US-Dollar Therapien zur Zellverjüngung entwickelt.

Kritik an der Branche

Zugleich steht die Longevity-Medizin auch in der Kritik. Bemängelt wird, dass sie unrealistische Versprechungen macht, soziale Ungleichheit verstärken könnte und oft auf unzureichend erforschten oder wissenschaftlich nicht belegten Methoden basiert.
Christina Röcke, Co-Direktorin des Healthy Longevity Center der Universität Zürich, sagte in einem Interview mit «Watson», dass viele Konzepte zu einseitig auf die physische Gesundheit fokussiert sind. «Das psychologische Altern und die mentale Gesundheit werden oft vernachlässigt», so Röcke. Dabei seien viele ältere Menschen trotz körperlicher Einschränkungen zufrieden und leistungsfähig. «Wenn man den ganzen Tag versucht, das Altern aufzuhalten, verliert man dabei möglicherweise wertvolle Lebenszeit.»
Tobias Reichmuth räumt ein, dass man in Bezug auf Longevity-Therapien «nicht in Euphorie verfallen» dürfe, da «vieles noch bewiesen werden müsse oder in Entwicklung» sei.

Forschungsreise

Um das Potenzial der Longevity-Medizin weiter zu erforschen, plant Reichmuth eine Expedition. Mit einem Eisbrecher wird er ab kommendem März 18 Monate lang um die Welt reisen, um sogenannte «Blue Zones» zu besuchen – Regionen, in denen die Menschen besonders alt werden. «Das ist keine Spassreise, wir arbeiten», betonte Reichmuth gegenüber der «Handelszeitung».
Die Reise sei eine Mischung aus Forschungsprojekt und Geschäftsretreat, erklärt Reichmuth. Teams aus Longevity-Start-ups, an denen er über seinen Fonds Maximon beteiligt ist, werden etappenweise mitreisen. Auch Wissenschaftler wie der Verjüngungsforscher Aubrey de Grey haben ihre Teilnahme zugesagt. Ziel der Expedition ist es, die «Best Practices» für ein langes und gesundes Leben zu entdecken und in die weitere Entwicklung von Longevity-Konzepten einfliessen zu lassen.

Der Langlebigkeit verschrieben

Bryan Johnson, ein Unternehmer aus den USA, treibt das Streben nach einem langen und gesunden Leben auf die Spitze. Jedes Jahr investiert er eigenen Angaben zufolge bis zu zwei Millionen Dollar, um sein Lebensmotto «Don’t die» in die Tat umzusetzen. Sein gesamter Alltag ist darauf ausgerichtet: Eine strenge vegane Ernährung, die letzte Mahlzeit vor 11 Uhr morgens, über 100 Nahrungsergänzungsmittel täglich, stundenlanges Training und der Einsatz verschiedenster Methoden, die seinen Körper verjüngen sollen – darunter Gentests, Blutanalysen, Rotlichttherapien und regelmässige Darmspiegelungen. Für seine Verjüngungskur beschäftigt er über 30 persönliche Mitarbeiter.
Eine Zeitlang experimentierte Johnson mit Blutplasma-Infusionen von seinem Sohn, stellte diese Praxis jedoch ein, da sie keinen nachweisbaren Effekt zeigte. Dennoch behauptet er, sein Körper altere dank seines Lebensstils deutlich langsamer: Statt der üblichen 365 Tage pro Jahr nur um 252 Tage. Mit 46 Jahren gibt er an, ein biologisches Alter von 40 Jahren zu haben.
Für Johnson ist sein Körper ein wissenschaftliches Experiment, das er akribisch dokumentiert und öffentlich teilt. In seiner Welt haben Zahlen eine zentrale Bedeutung: Sie sollen objektiv zeigen, wie gesund ein Mensch tatsächlich ist.
Artikel teilen
  • Share
  • Tweet
  • Linkedin
  • Whatsapp
  • Telegram
Kommentar

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Was ist Ihr Beruf?

Wo arbeiten Sie?*

undefined
undefined

*Diese Angaben sind freiwillig. Sie bleiben im Übrigen anonym.
Warum bitten wir Sie darum? Medinside bietet Ihnen die Informationen und Beiträge kostenlos. Das bedeutet, dass wir auf Werbung angewiesen sind. Umgekehrt bedeutet es idealerweise auch, dass Ihnen auf Medinside möglichst nur Werbung gezeigt wird, die zu Ihnen passt und die Sie interessant finden könnten.
Wenn wir durch solche Erhebungen Angaben über das allgemeine Profil des Medinside-Publikums gewinnen, nützt dies allen: Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, uns und unseren Kunden. Vielen Dank!


Mehr zum Thema

image

Sätze, die man zu schwerkranken Patienten nicht sagen sollte

«Alles wird gut.» «Kämpfen Sie!» «Was haben die anderen Ärzte gesagt?»: Eine Studie identifiziert Floskeln, die kranke Menschen verunsichern können.

image

Longevity: Altern lässt sich messbar verlangsamen

Omega-3, Vitamin D plus Bewegung: Ein Forschungsteam unter Schweizer Führung hat erstmals gezeigt, dass einfache Massnahmen die Uhr des Alterns nachweislich bremsen.

image

200 Millionen Franken für Femhealth-Projekte

Seit 2021 fördert der Akzelerator Tech4Eva Startups für die Gesundheit der Frau. Dabei zeigt sich, wie sehr dieses Thema im Trend liegt.

image

Der Kanton Zürich mausert sich zum Digital-Health-Standort

Die kantonale Standortförderung listet 120 E-Health-Firmen auf – und meldet dabei ein solides Wachstum. Dies obwohl die Finanzierung im internationalen Vergleich eher mager ist.

image

Ärzte sollen heilen, nicht vorbeugen

Prävention hat längst einen festen Platz in der Grundversorgung. Doch nun regen Mediziner einen Kurswechsel an: Sie erkennen Prävention als Problem.

image

Grundversorgung: Das möchten die Leute nicht

Mit Kiosken und KI-Diagnostik sollte in den USA das Gesundheitswesen revolutioniert werden. Jetzt wird das Multimillionen-Projekt abgebrochen. Der Fall zeigt: In der Grundversorgung ist menschliche Nähe unersetzlich.

Vom gleichen Autor

image

«Was gute Geburtshilfe ausmacht, wird nicht vergütet»

Muri, Thusis, Frutigen, Cham: Reihenweise schliessen Spitäler ihre Geburtenabteilungen. Für den Hebammenverband ist klar: Es braucht neue Modelle – und tragfähige Strukturen.

image

Neuer Finanzchef für die Thurmed Gruppe

Thurmed holt Vano Prangulaishvili als CFO. Der Gesundheitsökonom kommt von der Epilepsie-Stiftung und war zuvor am Universitätsspital Zürich tätig.

image

Affidea übernimmt Uroviva – und wird damit doppelt so gross

Das europäische Netzwerk verfügt neu über 33 Standorte in der Schweiz – mit dem Ziel, eine führende Plattform für integrierte Krebsversorgung aufzubauen.