Es gibt ja zum Jahresende allerlei Listen, welche die 10 oder 15 wichtigsten Tendenzen des nächsten Jahres prognostizieren. Im Gesundheitswesen finden dabei «Top Health Industry Issues» des Beratungskonzerns PwC viel Beachtung – denn sie haben sich immer wieder als realitätsnah erwiesen.
- einen stärkeren Druck zu mehr Transparenz (etwa bei klinischen Tests, mittels Spital- und Ärztevergleichen etc.);
- eine Höhergewichtung der Resultate für die Preisbildung, oder anders: Die Preise von Medikamenten und Medizingeräten dürften stärker erfolgsabhängig werden (eine Idee, die 2015 sowohl von Roche als auch von Novartis auf die Fahnen geschrieben wurde und in ersten «Preis zurück»-Medikamenten ihren Niederschlag fand);
- eine verstärkte Delegation ärztlicher Aufgaben an «vorgelagerte Funktionen» (Stichwort in der Schweiz: Impfen beim Apotheker);
- vermehrte Konkurrenz für Gesundheitsanbieter durch branchenfremde Unternehmen;
- einen Bedeutungsverlust der Diskretion – ein Bedeutungsgewinn des Komforts im Gesundheitsbereich;
- eine Ausbreitung von medizinischen Geräten und Diagnose-Devices im Alltag der Haushalte, während die Smartphone-App-Angebote vergleichsweise weniger stark wachsen (diese Entwicklung liess sich in den USA festmachen, in Europa wohl noch nicht ganz).
Blicken wir also erneut voraus: Was erwartet uns im kommenden Jahr? Das sind für das «Health Research Institute» von PwC die «Top Health Industry Issues 2016»:
Druck auf die Medikamentenpreise
Unter dem politischen Druck dürften die Pharmafirmen nach neuen Wegen suchen, um ihre Preise zu rechtfertigen. Dabei suchen sie verstärkt die Zusammenarbeit mit Versicherern und Patientenorganisationen. Damit dürfte auch die Bedeutung von unabhängigen Bewertungs-Instanzen wachsen – etwa Gesundheitsökonomen, Fachärzteverbände oder Institute wie das (im Bericht namentlich genannte)
IQWIQ in Deutschland.
Dies bedeute aber nicht, dass die gesamten Medikamentenausgaben sinken werden: Der Anteil der (teuren) Spezialmedikamente wächst auch 2016 weiter, was sich natürlich in der Gesamtsumme niederschlagen wird.
Cybersecurity wird zum Sorgenkind
Schon in diesem Jahr wurden Fälle bekannt, wo Hacker testweise in Spital-Netzwerke eindrangen und – beispielsweise – die Kontrolle über Insulinpumpen oder sogar Operationsroboter übernehmen konnten. Die Sicherheit der Medtech-Geräte werde im kommenden Jahren als wichtiges Thema der Gesundheitsbranche noch viel präsenter werden, so die PwC-Spezialisten jetzt. Denn es sei entscheidend, das Vertrauen ins medizinische Equipment zu bewahren – auf dass es nicht durch spektakuläre Einbrüche zerstört wird.
Die Medizin auf der Hand
Auch 2016 sollten sich Überwachungs-, Beobachtungs- und Betreuungs-Geräte beziehungsweise –Apps weiter ausbreiten – mit grundsätzlich positiven Folgen für die Gesundheitskosten. Die wichtigsten Felder hier bilden die Grundversorgung, die Prävention (respektive behavioural health) und die Betreuung chronischer Krankheiten.
Es dürfte also 2016 verstärkt zum Alltag gehören, dass Ärzte ihre Patienten mit EKG-Überwachungs-Tools, Blutzucker-Trackers und anderen Fernbeobachtungs-Devices nach Hause schicken. Auch die Telemedizin werde sich weiter durchsetzen, wobei PwC daran erinnert, dass es technologisch mittlerweile so einfach wäre, mit dem Handy den Arzt zu kontaktieren wie ein Taxi zu rufen.
Kostenfaktor seelische Gesundheit
Die psychische Verfassung als zunehmend wichtiges Thema – dies eine weitere Erwartung von PwC für 2016. Sowohl Versicherer wie Versorger wie Arbeitgeber müssten sich bewusster werden, dass die psychische Gesundheit zu einem wichtigen Faktor wird, um die Gesundheitskosten im Griff zu halten.
Das heisst konkret: Das Bewusstsein, die Akzeptanz und die Prävention in diesem Bereich dürften gestärkt werden.
Wobei eine Kernfrage sein könnte, wie sich hier kosteneffiziente Strategien einführen lassen. Zentralisierte Telehealth-Angebote – zum Beispiel zur Unterstützung von Hausärzten, eventuell auch zur Betreuung ausgewählter Patienten – könnten hier ebenfalls eine Hilfe bieten.
Der Segen des Spitalnetzes
Eine Zukunftsvision der Berater des PwC-Health-Institute ähnelt frappant den Modellen, die derzeit in Bern mit dem Spital-Netz umgesetzt und in der Nordwestschweiz mit dem Zusammenschluss von USB und KSBL angedacht werden.
Denn die Studie besagt: Auch 2016 müsse das Ziel, günstigere Spitalversorgungs-Strukturen zu schaffen, aggressiv weiterverfolgt werden. Eine gangbare Form dabei seien Systeme mit einem «Mutterschiff-Spital» (welches auch akademisch und in der Forschung tätig ist), um das sich kleinere Regionalspitäler und Ambulanzstationen scharen. In den USA, so hält der Bericht fest, übernahmen in den letzten 25 Monaten fünf der 15 wichtigsten Universitätsspitäler ein oder mehrere Regionalspitäler.
Weitere Formen, die nur in einem vernetzten Umfeld Sinn machen, wären das «bettlose Spital», also ausgebaute Ambulanzstationen, die auch einen Notfall enthalten können (ein Modell, das bekanntlich an die Pläne fürs Bruderholzspital erinnert); und ferner das virtuelle Spital: Gemeint sind Entwicklungen wie
das jüngst eröffnete Mercy Virtual Care Center, bei dem hunderte Fachpersonen kleineren Spitälern zur Verfügung stehen – sei das etwa mit Pflegepersonal für die Nachtwache, sei das mittels Spezialisten. Aber ausschliesslich auf telemedizinischem Wege.
2016 – das Jahr der Biosimilars?
Letztes Jahr erfolgte die erste Zulassung eines Biosimilars: Zarxio von Sandoz. Das Nachfolge-Medikament kann seine Aufgabe (die Infektionprävention bei Krebspatienten) zu einem 15 Prozent günstigere Preis erfüllen. Nächstes Jahr dürften mindestens vier neue Biosimilars auf den Markt kommen; und etwa 50 befinden sich im Prozess der Bewilligung.
Damit erreicht die Generika-isierung lebender Organismen im nächsten Jahr eine neue Stufe. Daraus dürfte eine gewisse Entlastung im Bereich der Medikamentenpreise entstehen.
Elefantenhochzeiten
Eher auf den US-Markt bezogen ist die Prognose, dass 2016 mit zahlreichen grossen Unternehmens-Zusammenschlüssen gerechnet werden muss – und zwar sowohl bei den Krankenversicherern wie bei Gesundheitsanbietern. Ein Thema wäre dort etwa, dass sich kleinere Spitalgruppen grossen Ketten (wie den Mayo-Kliniken) anschliessen werden.
Auf die Schweiz bezogen heisst das: Die Wahrscheinlichkeit, dass expandierende Ketten wie Hirslanden und Swiss Medical Network durch Übernahmen einzelner Kliniken weiterwachsen, bleibt hoch.
Mehr Konsumentenbewusstsein
Oder auf Englisch: «Healthcare Consumerism». Dieser Punkt fokussiert ebenfalls auf den US-Markt. Er besagt, dass die Patienten die ganze Finanzierung ihrer Gesundheit stärker in die Hand nehmen wollen – sie sind weniger bereit, unklare Rechnungssysteme zu akzeptieren; sie engagieren sich verstärkt darin, Finanzierungspläne für den Krankheitsfall zu erarbeiten; und sie interessieren sich stark für Krankenkassenangebote, bei denen es für gesundheitliches Wohlverhalten Belohnungen gibt – etwa in Form von tieferen Prämien.
Und wieder: Big Data
Das Thema der letzten Jahre dürfte die Branche auch 2016 beschäftigen. Dabei waren die Ergebnisse bislang eher ernüchternd: Wie lassen sich die grossen Datenmengen in praktische Einsichten umwandeln? Das Jahr 2015, so das Fazit von PwC, bot hier wenige Antworten.
Doch dies könnte sich in den kommenden Monaten ändern: Die nicht-relationalen Datenbanken erlauben es mehr und mehr, auch unstrukturierte Informationen zu verwerten – und damit allgemeine statistische Erkenntnisse zum Beispiel korrekt auf die einzelne Person zurückzuführen.
Und nochmals: Kosten, Kosten, Kosten
Natürlich gibt es Fallpauschalen, Medikamentenpreise, Tagessätze… Aber was kostet eine Diagnose? Was kostet eine bestimmte Krankheit? Viele wahre Preise im Gesundheitswesen sind ziemlich unbekannt, und vor allem bestehen natürlich grosse Unwägbarkeiten zwischen dem Preis einer Behandlung und ihrem Wert.
Die bisher üblichen Honorar-für-Dienstleistungs-Ansätze könnten im nächsten Jahr noch stärker in den Fokus der Debatte geraten, vermuten dei PwC-Forscher – mit der Erprobung von wertebasierten Vergütungsmodellen in der Folge.