Die Zahl der Ärztinnen ist über die Jahrzehnte markant gestiegen. Mitte der 70er Jahre war 15 Prozent der gesamten Ärzteschaft weiblich. Nun liegt der Anteil der Frauen an allen Ärzten in der Schweiz gemäss
Branchenverband FMH bei knapp 40 Prozent. Auch für Nachwuchs ist gesorgt: Bei den Bildungsabschlüssen in der Humanmedizin überwiegt der Frauenanteil schon seit Jahren deutlich, und auch die Mehrheit der Facharzttitel wird inzwischen an Frauen vergeben.
Die Statistik der FMH zeigt allerdings auch klar: Je höher die Hierarchiestufe, desto tiefer ist der Frauenanteil. Einzig bei den Assistenzärzten überwiegen die Frauen (57 Prozent), danach kommen sie immer seltener vor. Bei den Oberärzten beträgt der Frauenanteil 44 Prozent, bei den Leitenden Ärzten 22 Prozent, bei den Chefärzten gerade noch 11 Prozent.
Im stationären Bereich sind die Frauen deutlich stärker vertreten als im ambulanten Bereich. Gerade in den Spitälern böte sich ihnen aber auch die Möglichkeit, Karriere zu machen. Trotzdem verlieren sich Frauen irgendwo auf dem Weg an die Spitze. Warum ist das so?
Sorge um Work-Life-Balance
Antworten darauf kommen wie so häufig aus den USA. Das amerikanische Branchenportal
Medscape ist dieser Frage nachgegangen und führte eine Umfrage bei 3000 Ärztinnen durch. Befragt wurden sie über die Herausforderungen im Beruf und die Karrierechancen in einer akademischen oder medizinischen Institution. Etwa die Hälfte der Befragten hatte eine Führungsfunktion inne.
Die meisten Kaderfrauen betonen, dass die Führungsposition für sie persönlich wichtig sei. Ganz anders sagten die Frauen aus, die keine Führungsposition innehaben: Karriere ist für die meisten persönlich nicht so wichtig. Gleichzeitig sind praktisch alle Frauen der Meinung, dass es generell Frauen in Führungspositionen braucht, um überhaupt etwas an den Geschlechterverhältnissen in den höheren Chargen zu ändern.
Wenn also Leadership generell wichtig ist, warum will dennoch nur etwa die Hälfte der Frauen eine Führungsfunktion wahrnehmen? Die Antwort ist symptomatisch und branchenunabhängig: Die Angst, die Work-Life-Balance zu verlieren. Work-Life-Balance ist die am häufigsten genannte Herausforderung der Führungskräfte und die am häufigsten genannte Sorge von Frauen, die eben deswegen keine Karriere anstreben. Nicht genug Zeit und Kraft zu haben, um allem gerecht zu werden, was im Leben ansteht, beschäftigt alle Frauen, ganz besonders aber diejenigen mit Kindern.
Führungsfunktion bietet auch Freiheit
Das Dilemma lässt sich gemäss Medscape-Autorin Hansa Bhargava, selber Ärztin mit Zwillingen, lösen. Denn eine Führungsfunktion bietet in der Regel auch mehr Flexibilität - und die gilt es zu nutzen. Wenn eine Ärztin auch Teilhaberin einer Praxis ist, hat sie mehr Freiraum in der Gestaltung ihrer Agenda. Auch kann man als Führungskraft in einer Organisation diese eher in eine bestimmte Richtung lenken und zum Beispiel Teilzeitarbeit fördern. Dies ist vermutlich der Grund, warum die Zufriedenheit im Job bei Frauen in Führungspositionen höher ist als bei subalternen Positionen. Darum lohnt es sich laut Bhargava, eine Karriere anzustreben und sich «reinzuknien».
Wie aber macht man im medizinischen Betrieb Karriere? So lautete eine weitere Frage an die 3000 Ärztinnen. An erster Stelle stehen, so die Antworten, ausgezeichnete Leistungen im Job erbringen und Beziehungen knüpfen und pflegen. Wichtig ist auch die Unterstützung des Partners. Interessant ist, dass Frauen in Führungspositionen häufig das erhielten, was sie forderten - egal, ob es sich um eine Beförderung oder eine Lohnerhöhung handelt. Der Mut, Forderungen zu stellen, brachte Frauen weiter und zahlte sich auch materiell aus.
«Go for it»
Hansa Bhargava verknüpft die Umfrage mit dieser Botschaft: Wenn du an einer Führungsposition interessiert bist, «go for it!». Fordere, was du möchtest. Bringe ausgezeichnete Leistungen und knie dich rein. Frauen, die es in eine Führungsposition geschafft haben, sind im grossen Ganzen zufrieden mit ihrem Berufsleben, und eine Mehrheit scheint auch Beruf und Familie gut ausbalancieren zu können.