Rund ein Drittel der Hausärzte in der Schweiz zweifelt an Sinn oder Nutzen der eigenen Arbeit – dieser Anteil hat sich innert zwanzig Jahren verdoppelt. Und ebenfalls ein Drittel verspürt ein Ungleichgewicht im Verhältnis von Arbeitsmenge und Befriedigung: Solche Negativ-Aussagen machen 26 Prozent der befragten Allgemeinpraktiker, also gut ein Viertel.
Die Daten finden sich in einer Arbeit von Ärztinnen und Ärzten der Uni-Poliklinik von Lausanne: Christine Cohidon, Jacques Cornuz und Nicolas Senn verglichen die Ergebnisse zweier internationaler Erhebungen, für die jeweils auch Schweizer Hausärzte befragt worden waren – erst 1993, dann 2012. Welche Verschiebungen deuten sich da an?
Zum Beispiel, dass die heutigen Ärzte weniger arbeiten – doch sie nehmen sich sogar mehr Zeit für ihre Patienten: Dies eine bemerkenswerte Aussage der Auswertung, die jetzt im Fachorgan «Primary and Hospital Care» erschienen ist.
Die Erklärung dazu: Die Dauer des gesamten Patientenkontakts veränderte sich seit 1993 kaum – was aber sank, war die Zahl der Konsultationen. Waren es einst im Schnitt 30 gewesen, so begrüsste der durchschnittliche Arzt es im letzten Erhebungsjahr noch 25 Patienten pro Tag. Auf der andern Seite kletterte die durchschnittliche Dauer der Konsultation um fünf auf 20 Minuten.
Weniger Zeit auf dem Land als in der Stadt?
Dabei hatten die Hausärztinnen etwas mehr Zeit für ihre Patienten als ihre männlichen Kollegen (23 Minuten versus 19 Minuten). Eher der Klischeevorstellung widerspricht andererseits wohl, dass die Konsultationszeiten der Hausärzte in der Stadt etwas länger waren als auf dem Land (22 versus 18 Minuten).
«Der Anstieg der in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern bereits hohen Konsultationsdauer (z.B. 7 Minuten in Spanien und Deutschland) ist wahrscheinlich auf die Zunahme von Multimorbiditäten sowie eine medizinische Entwicklung zurückzuführen, die sich stärker an psychosozialen Problemen orientiert», schreiben die Forscher aus Lausanne.
Einzuschränken ist: Die Daten hier sind nicht repräsentativ – es geht primär um die Tendenzen in der Struktur. Cohidon, Cornuz und Senn werteten zwei sehr ähnlich gelagerte Erhebungen aus, nämlich einerseits die internationale Qualicopc-Erhebung von 2012, welche die Profile von Hausärzten in über 30 Ländern erfasst hatte; dazu gehörte unter anderem die Befragung von jeweils 200 Hausärzten pro Land, auch in der ganzen Schweiz. Die Daten wurden mit der recht ähnlich erfassten European Study of task profiles of General Practitioners (1993) verglichen – auch damals waren 200 Hausärzte hier angefragt worden.
Mehr als die Hälfte sind jetzt Gemeinschaftspraxen
Die Zahlen zeigten, dass sich der Frauenanteil von 1993 bis 2012 verdreifacht hatte. Allerdings war diese Bewegung nicht so allgemein, wie man gemeinhin vielleicht glaubt: Die Hausärztinnen von heute arbeiten zum Beispiel eher in den Vororten und in den Kleinstädten – und seltener in Grossstädten sowie, andererseits, im ländlichen Bereich.
Eine Vieles erklärende Zahl ist das Durchschnittsalter der Hausärzte: Es war im erfassten Zeitraum um 10 Jahre gestiegen (was in etwa bedeutet: Der statistische Hausarzt altert pro Jahr um etwa 2,5 Monate), wobei die Frauen hier ein Gegengewicht bilden: Sie sind im Schnitt um 6 Jahre jünger.
Inzwischen sind über die Hälfte der Schweizer Arztpraxen Gemeinschaftspraxen – ihr Anteil hat sich seit 1993 glatt verdoppelt. Die Ausbreitung der Gemeinschaftspraxis geht mit dem grösseren Anteil der Ärztinnen einher: Die Frauen arbeiten überdurchschnittlich oft in einer Gruppenpraxis.
Siehe auch:
Der typische Schweizer Hausarzt arbeitet 45 Stunden pro Woche, nimmt sich für eine Konsultation 20 Minuten Zeit – und hält sich im Vergleich zu einem Spezialisten für unterbezahlt.
Die Arbeits-Verlagerungen bei den Schweizer Hausärzten betrifft noch weitere Ebenen: Insgesamt, so deuten die Daten aus Lausanne an, wurde der Arztberuf offenbar etwas bunter. Oder anders: Man ist nicht mehr nur Praxischef.
Zuletzt gaben zwei Drittel der erfassten Schweizer Hausärztinnen und Hausärzte an, neben der Praxis noch andere (geldwerte) Tätigkeiten auszuüben; 1993 hatte diese Quote nur 28 Prozent betragen.
«Job Enrichment», aber nicht mehr Zurfriedenheit
Am meisten genannt wurden dabei Tätigkeiten in der Ausbildung sowie Arbeiten in einer Gesundheits- und Pflegeeinrichtung. Dieses «Job Enrichment» fand sich bei Frauen wie Männern, und sie schien auch nicht altersabhängig zu sein.
Dennoch: Eine klar negative Tendenz stellen Cohidon, Cornu und Senn bei der Zufriedenheit fest. Nicht nur, dass die grundsätzlichen Zweifel – wie eingangs erwähnt – zugenommen hatten. Auch beklagten im Jahr 2012 vier von fünf Hausärzten darüber, dass sie durch Verwaltungstätigkeiten überlastet seien – in der Erfassung zwanzig Jahre davor hatten sich lediglich 59 Prozent darüber geärgert.