Plädoyer für die Teilzeit-Krankschreibung

Es sei überholt, dass man nur ganz krank oder gar nicht krank sein kann, findet der oberste Arzt Deutschlands.

, 31. Oktober 2024 um 13:46
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Klaus Reinhardt, Facharzt für Allgemeinmedizin, seit 2019 Präsident der Bundesärztekammer  |  Bild: Die Hoffotografen (PD Bundesärztekammer)
Die besondere Idee kommt diesmal vom Präsidenten der deutschen Ärztekammer: Klaus Reinhardt findet, dass Teilzeit-Krankschreibungen eingeführt werden sollten. Es sei überholt dass man arbeitsrechtlich nur ganz krank oder gar nicht krank sein soll – also den ganzen Tag und für alle Tätigkeiten krank.
«Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert, insbesondere durch die Digitalisierung und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten», sagte Deutschlands Ärztepräsident im Gespräch mit der «Westdeutschen Allgemeinen». Und weiter: «Eine praktikable Form von Teilzeit-Krankschreibung für einige Stunden täglich könnte den neuen Möglichkeiten Rechnung tragen und für mehr Flexibilität sorgen.»

Tele-Attest: Problem und Chance

Im Hintergrund steht erstens, dass Homeoffice- und andere Technologien es ermöglichen, im Notfall auch ausserhalb des Arbeitsortes für die Firma tätig zu sein. Vor allem aber werden die Krankschreibungen bei den deutschen Nachbarn mehr und mehr zum Politikum. Im Dezember 2023 führte Deutschland die Möglichkeit ein, sich per Telefon vom Arzt bis zu fünf Tage krankschreiben zu lassen. Damit wollte die Regierung in Berlin bewirken, dass sich weniger Menschen im Wartezimmer der Arztpraxis anstecken – und sie wollte die Praxen entlasten.
Doch in der Folge stiegen die Erkrankungs-Quoten an den Arbeitsplätzen massiv an. Die Zahl der durchschnittlichen Ausfalltage pro Arbeitnehmer liegt heute viermal so hoch wie noch 2021. Und so verlangen die Arbeitgeberverbände bereits wieder, dass die Telekrankschreibung abgeschafft wird. Die Hausärzte wollen den Ist-Zustand aber beibehalten: Sie erlebten das Telefon-Angebot in der Tat als Entlastung.

«Schlicht absurd»

Ganz krank, gar nicht krank – oder etwas dazwischen? Ärztepräsident Klaus Reinhardt erinnerte an die Wiedereingliederung nach langen Krankheitsphasen, wo die Arbeitszeit auch schrittweise erhöht wird: So etwas würde doch auch bei leichteren Erkrankungen funktionieren. «Ein Beispiel dafür sind Bagatellinfekte, bei denen der direkte Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro vermieden werden sollte. In solchen Fällen bietet das Arbeiten im Homeoffice aber unter Umständen die Möglichkeit, im begrenzten Umfang berufliche Aufgaben wahrzunehmen und sich dennoch zu erholen.»
Widerspruch kam prompt von den Gewerkschaften: Die Idee von «Teilzeit-Krankschreibungen» für einige Stunden sei «schlicht absurd», sagte ein Vorstandsmitglied des Gewerkschaftsbundes DGB. «Wer krank und arbeitsunfähig ist, soll sich vollständig auskurieren. Ansonsten steigt das Risiko, länger und ernsthafter zu erkranken.» Schon heute gingen viel zu viele krank zur Arbeit oder arbeiteten krank im Homeoffice.
  • praxis
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