«Die Hausärzte sollten aus der FMH austreten»

Der pensionierte Hausarzt Armin Buchenel aus Ins erklärt, weshalb die Hausärzte aus der FMH austreten sollten. Und weshalb er heute eher eine internistische Subdisziplin wählen würde.

, 3. September 2017 um 20:28
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Herr Buchenel, in einem Leserbrief kritisierten Sie die den Tarmed-Eingriff des Bundesrats. Warum? Hausärzte werden ja damit besser gestellt.Ich habe nicht generell den Tarmed-Eingriff krisiert, sondern die Abschaffung der Notfallentschädigungen für hausärztliche Notfallposten. Damit kann diese Dienstleistung nicht mehr kostendeckend betrieben werden, was den Wegfall des hausärztlichen Notfalldienstes bedeuten wird. Die Folge wird sein, dass noch mehr Notfallpatienten in Spitalambulatorien mit absehbaren hohen Kostenfolgen behandelt werden. Die so genannten Sparmassnahmen werden zu markanten Mehrkosten führen.
Wie stimmten Sie bei der Urabstimmung der FMH zur Tarmed-Revision?Ich stimmte ja. Ich sagte meinen Kollegen: Wenn wir nicht zustimmen, greift nachher die Politik ein. Das ist jetzt passiert. Als liberal denkender Mensch bin ich der Meinung, dass man die Sache vertraglich regeln soll, bevor der Staat eingreift.
Weshalb sagten denn Ihre Kollegen mehrheitlich Nein?Zuerst muss man sagen, dass die Stimmbeteiligung bei mageren 30 Prozent lag. Das ist ziemlich blamabel. Zudem haben wir bei der FMH die Situation, dass die Hausärzte einen Drittel ausmachen und die Spezialisten zwei Drittel. Früher war es genau umgekehrt.
Immerhin war FMH-Präsident Jürg Schlup früher Hausarzt.Das ist ein Alibi. Ich war sowieso immer der Meinung, die Hausärzte sollten aus der FMH austreten.
Warum?Die Interessen innerhalb der FMH divergieren enorm. Das vermindert die politische Schlagkraft. Die Apotheker zum Beispiel machen das viel besser.
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    Armin Buchenel

    Nach insgesamt 42 Jahren im Arztberuf, wovon 9 Jahre Weiterbildung zum Facharzt Innere Medizin FMH, 30 Jahre in eigener hausärztlicher Praxis und 3 Jahre in einer Gemeinschaftspraxis in Ins im Berner Seeland, trat Armin Buchenel im Frühjahr 2016 mehr oder weniger in den Ruhestand. Der 68-Jährige arbeitet noch gelegentlich auf dem Hausarztnotfall im Spital Aarberg, macht etwas Akupunktur und steht bei Bedarf für Stellvertretungen zur Verfügung.

Sie führten 30 Jahre eine Hausarztpraxis. Wären Sie 40 Jahre jünger: Würden Sie sich wieder für den Beruf des Hausarztes entscheiden?Fraglich ist, ob ich in der heutigen Zeit überhaupt nochmals Medizin studieren würde oder doch lieber eine andere Naturwissenschaft wie Chemie oder Biochemie.
Warum?Wegen dem aktuellen Umfeld. Die andere Variante wäre eine internistische Subdisziplin wie Hämatologie oder Kardiologie.
Gleiche Frage wie vorher: Warum?Als ich vom Spital in die Praxis wechselte, war es für gut ausgebildete Internisten noch attraktiv, eine eigene Praxis zu eröffnen. Unterdessen haben sich die Arbeitsbedingungen in der hausärztlichen Praxis deutlich verschlechtert, so dass viele Kollegen sich für eine internistische Subspezialität entscheiden. Das überrascht nicht, da diese Tätigkeiten mit höherer Wertschätzung und besserer Entlöhnung verbunden sind.

«Die Wertschätzung gegenüber Subspezialitäten ist grösser, zum Teil auch seitens der Patienten»

Sie würden also nicht aus medinischen Gründen, sondern wegen dem aktuellen Umfeld eine internistische Subdisziplin wählen?Das kann man so sagen. Hausarzt ist immer noch ein faszinierender Beruf. Das breite Spektrum hat mir zugesagt. Aber eben: Die Wertschätzung gegenüber Subspezialitäten ist grösser, zum Teil auch seitens der Patienten. Ich weiss von Professoren – Namen nenne ich keine –, die ihren Studenten abrieten, sich auf allgemeine innere Medizin zu konzentrieren. Sie finden, ihr Fachgebiet sei komplex genug. Vielleicht wollten sie auch junge Ärzte gewinnen für ihre Disziplin.
Es ist ja nicht Aufgabe des Hausarztes in jedem Bereich ein Spezialist zu sein.Das ist so. Im heutigen Umfeld wäre das besonders wichtig. Ein Hausarzt muss abklären, zu welchem Spezialist man überhaupt gehen soll. Wenn der Patient aufgrund einer Selbstdiagnose einen Spezialisten aufsucht, besteht die Gefahr, dass er dann von einem Spezialisten zum anderen weitergereicht wird.
Sie sprachen die Entlöhnung an. Im April 2009 streikten die Hausärzte. Damals hiess es, ein Hausarzt verdiene im Schnitt netto 190’000 Franken im Jahr. Ist das ein Grund, auf diesen schönen Beruf zu verzichten?Ich zweifle, ob diese Zahl stimmt. Ich kam nicht auf dieses Einkommen. Aber die Hausärzte streikten ja nicht wegen des Einkommens, sondern wegen der bürokratischen Belastung und weil Bundesrat Pascal Couchepin die Entschädigung für Laboruntersuchungen gestrichen hatte. Eben wieder so ein Fall mangelnder Wertschätzung.
Was hat neben der mangelnden Wertschätzung den Beruf des Hausarztes so unattraktiv gemacht?Die unnötige Krankenkassenbürokratie: Ich betreute einen Patienten, der MS im fortgeschrittenen Stadium hatte. Alle sechs Monate erhielt ich von der Krankenkasse ein Formular auf einer A4-Seite, auf dem ich detailliert erklären musste, weshalb eine Physiotherapie sinnvoll sei. Ein Leerlauf sondergleichen.

«Leerläufe haben zugenommen, vor allem seit Einführung des Krankenkassenobligatoriums.»

War das früher anders?Leerläufe dieser Art haben zugenommen, vor allem seit Einführung des Krankenkassenobligatoriums.
Spezialisten kennen solche Leerläufe ebenfalls.Ja, aber in geringerem Ausmass. Häufig ist es so, dass Spezialisten die medizinische Arbeit machen, und die Begründung gegenüber der Kasse, weshalb die Behandlung notwenig war, bleibt dann beim Hausarzt hängen.
Was strapaziert die Frustrationstoleranz von Hausärzten sonst noch?Die Funktionärinnen der demokratisch schlecht legitimierten Institution Tarifsuisse verbieten gut eingerichteten und qualitätskontrollierten hausärztlichen Gemeinschaftspraxen die Durchführung oft indizierter Routine-Labor-Untersuchungen wie VitD, TSH, Ferritin. Dann stellen sie rückwirkend auf vier Jahre Rückzahlungsforderungen für lege artis und kostengünstig durchgeführte Analysen. Dabei wären die Analysen bei Durchführung in einem kommerziellen Grosslabor deutlich teurer. Auch hier: Mehrkosten in Folge so genannter Sparmassnahmen. Wollen Sie noch eine weitere Bevormundung durch die Tarifsuisse-Exponenten hören?
Gerne.Die Fortbildungspflicht für Ärzte aller Disziplinen wird durch die FMH und durch die Fachgesellschaften geregelt und auch kontrolliert. Neuerdings geht die Arroganz der Kasseninstitution soweit, dass sie auch noch die Fortbildung, welche für verantwortungsbewusste Ärzte eine Selbstverständlichkeit ist, kontrollieren will.
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