«Dringend nötig» oder «inakzeptabel»? Der Streit um die Medikamenten-Margen

Santésuisse präsentiert zum zweiten Mal in diesem Jahr Zahlen zu den Handelsmargen bei den Medikamenten. Apotheker melden ernsthafte Zweifel an.

, 25. November 2016 um 13:00
image
  • santésuisse
  • gesundheitskosten
  • apotheken
  • medikamente
Santésuisse hat heute einen Vergleich der Handelsmargen für Medikamente bei Apotheken, Ärzten und Spitäler veröffentlicht. Das Fazit des Versicherer-Verbandes: Diese Margen sind in der Schweiz um 458 Millionen Franken höher als in vergleichbaren europäischen Ländern.
Das wiederum entspreche über 1,5 Prämienprozenten, «welche die Versicherten zu viel bezahlen», so die Mitteilung aus Solothurn.
Santésuisse fordert nun «eine zügige Anpassung der Margen nach unten». Ein Einsparpotenzial von rund 450 Millionen Franken jährlich könnte bei der Grundversicherung recht einfach realisiert werden.

Anpassung sei überfällig

Insgesamt, so Santésuisse, seien im letzten Jahr 1,7 Milliarden Franken als Handelsmarge an die Apotheken, Ärzte und Spitäler ambulant geflossen – und davon waren eben 458 Millionen zu viel, da weit über dem Durchschnitt europäischer Vergleichsländer. Der Verband verlangt daher vom Bund eine Verordnungsänderung – ein Schritt, der ohnehin überfällig sei, da der Bundesrat die Margen seit zehn Jahren nicht mehr angepasst habe.
Bemerkt sei, dass Santésuisse bereits im März einen Margenvergleich veröffentlicht hatte und damals – basierend auf den Zahlen von 2014 – auf eine «Übermargeung» von 489 Millionen Franken gekommen war; zugleich nannte der Verband damals ebenfalls 1,7 Milliarden Franken als Gesamtmarge. Davor hatte der Santésuisse-Vergleich vom Oktober 2013 ein Zuviel von 450 Millionen Franken ergeben, ein Jahr früher waren es 410 Millionen gewesen. Und beim ersten Margenvergleich im Oktober 2011 hatte Santésuisse ein Potential von 300 Millionen angegeben.
image
Bei dieser Datenhäufung schüttelt Claus Hysek den Kopf: Der Bieler Apotheker und Präsident des Branchen-Vereins IFAK spricht heute von «aufgewärmten Zahlen». Er zieht den Santésuisse-Vergleich grundsätzlich in Zweifel. Danach hätten sich ja innert weniger Jahre die Margen von 300 Millionen auf fast 500 Millionen Franken erhöht (beim im März verkündeten Stand vom 489 Millionen Franken). Und heute, in der neuen Mitteilung, gebe es offenbar einen «Black Friday»-Rabatt, frotzelt Hysek.

«Populistische Stimmungsmache»

Insgesamt jedenfalls signalisiere dieser Sprung um 53 Prozent (bei den heute angegebenen Zahlen) eine Explosion der gesamten Medikamentenkosten. Und das, so Hysek, wäre gewiss weitherum beachtet worden. 
Dabei sei der Ertrag der Apotheken in den letzten Jahren nachweislich gesunken, so dass solche Zahlen jeglicher Grundlage entbehrten. «Es sind Fantasiezahlen.»
image
Der Branchenvergleich, folgert der Apothekervertreter, sei «reine populistische Stimmungsmache». Sein Fazit: «Das ist inakzeptabel für einen Verband, der letztlich mit unseren Prämiengeldern finanziert wird».

Vaucher: «Es braucht eine Gesamtanalyse»

Santésuisse hatte die Daten zuvor schon via «Tages-Anzeiger» veröffentlicht, wo auch der Apothekenverband Pharmasuisse eine Stellungnahme abgab. Man sei bereit, die Entschädigungen neu anzusehen, so Verbandspräsident Fabian Vaucher, aber: «Es braucht eine Gesamtanalyse.»
Der Apothekenvertreter schlug vor, mit der Vertriebsmarge künftig nur noch die Kapital- und Logistikkosten abzugelten. Zugleich müsse aber die Beratungsleistung in den Apotheken besser entlöhnt werden. Unterm Strich sieht Pharmasuisse-Präsident Vaucher kein grosses Sparpotenzial. Womöglich könne man die Kosten zu stabilisieren, aber deutsche Löhne könnten die Apotheken auch nicht zahlen. Die Krankenkassenmanager würden in der Schweiz ja auch mehr verdienen als in Deutschland, so Vaucher im «Tages-Anzeiger».

Mehr: Streit um die Apotheken-Margen: Die Replik von Santésuisse

Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Medikamente erstmals grösster Kostenblock in der Grundversicherung

Erstmals liegen die Ausgaben über 9 Milliarden Franken. Mehrere Faktoren spielen hinein: teure Neueinführungen, Mengenausweitung, zusätzliche Indikationen, höherer Pro-Kopf-Verbrauch.

image

Antibiotika in der Schweiz: Rückgang mit Ausnahmen

Von 2015 bis 2022 sank der Antibiotikaverbrauch in der ambulanten Versorgung deutlich. Doch nicht alle Fachrichtungen zeigen den gleichen Trend.

image

Bürokratie-Fiasko beim Zugang zu Medikamenten

Eine internationale Studie zeigt: Bürokratie ist in der Schweizer Gesundheitsversorgung ein grosses Problem. Gleichzeitig erschweren veraltete Prozesse den Zugang zu innovativen Medikamenten. Lösungen lägen auf dem Tisch – doch die Politik droht, die Situation noch zu verschlimmern.

image

EU gibt Novartis grünes Licht für Kisquali gegen Brustkrebs im Frühstadium

Der Wirkstoff Ribociclib soll insbesondere Patientinnen helfen, bei denen das Risiko besteht, dass sie einen Rückfall erleiden.

image

Antibiotika-Therapie: In Praxen und Kliniken immer noch suboptimal

In Baden-Württemberg erforschte man den Antibiotika-Einsatz in zehn Spitälern. Heraus kam ein halbes Dutzend heikler Punkte.

image

In Bern steht die Selbstdispensation wieder zur Debatte

Der jahrelange Konflikt zwischen Apothekern und Ärzten könnte in eine neue Runde gehen: Eine kantonale Motion fordert, dass künftig alle Arztpraxen Medikamente verkaufen dürfen.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.