Die Politik diskutiert derzeit ausgiebig über eine ausgedehnte Maskenpflicht. Viele Ärztinnen und Ärzte kritisieren die von der Politik getroffenen Massnahmen schon seit längerer Zeit. Doch die meisten tun dies nicht öffentlich. Eine Ausnahme ist Josef Widler, der Chef der Zürcher Ärztegesellschaft. Er hält die nun beschlossene Tragpflicht in den Läden für «eher nicht so gescheit»,
wie er der NZZ (Abo) sagte.
Für ihn fehlt schlicht eine stichhaltige Begründung dafür. Es handelt sich laut Widler wohl eher um einen «symbolischen Akt». Denn der grosse Nutzen der Masken sei nicht belegt. «Tatsache ist ja zumindest, dass die Zahlen nicht gesunken sind, seit alle Leute im öffentlichen Verkehr Masken tragen», sagt der oberste Zürcher Arzt der Zeitung weiter. Für ihn sei die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln viel zentraler.
Die positiv Getesteten sind nicht von Interesse
Der 66-jährige praktizierende Mediziner will das Coronavirus aber nicht verharmlosen, wie ihm Kritiker manchmal vorwerfen: «Covid-19 ist eine ernsthafte Krankheit, ich will dies überhaupt nicht bagatellisieren, aber Angst bringt nichts», so Widler.
Von einer zweiten Welle will Josef Widler nicht sprechen: Er vergleicht die durchschnittlich 200 positiven Tests pro Tag im Juli mit dem Peak Ende März mit rund 1500 Ansteckungen. Als Arzt interessiere er sich zudem nicht für die positiv Getesteten, sondern für die Kranken. Und er würde vor allem die Personen im Umfeld der Risikopatienten testen, erklärt er gegenüber der NZZ.
Chefarzt spricht von einer «medial geschürten Massenhysterie»
Der Chef der Zürcher Ärztegesellschaft stört sich generell daran, dass die praktizierenden Mediziner nicht in die Entwicklung der Corona-Konzepte einbezogen worden seien. Die Verwaltung habe den Ärzten Entscheidungen aufgedrückt und «Juristen und Polizisten» würden über die Gesundheit der Bevölkerung entscheiden, sagt er. Widler vertritt 6000 Mediziner im Kanton Zürich. Daneben ist er als Arzt tätig und politisiert für die CVP im Kantonsparlament.
Ähnlich kritisch wie Widler argumentiert auch Peter Böhi
in einem Beitrag, der vor kurzem in der «Schweizerischen Ärztezeitung» erschienen ist. Ein Virus und das Pandemiegesetz genügten, um einem 7er Gremium die Möglichkeit zu geben, über Nacht eine «Gesundheitsdiktatur» zu errichten, wie der Chefarzt aus Altstätten schreibt. Ihn bedrücken als Bürger zudem unter anderem die «medial geschürte Massenhysterie», die «massive Einschränkung der Grundrechte» oder die «Diffamierung Andersdenkender». In der Tat scheinen differenzierende Äusserungen durch die meisten Medien unterdrückt oder herabgesetzt zu werden. Exemplarisch hat sich dies in jüngster Zeit etwa bei den Erklärungsansätzen des Infektiologen Pietro Vernazza oder des Immunologen Beda Stadler gezeigt.
«Sterberisiko für die Allgemeinbevölkerung marginal»
Auch für den Gynäkologen Peter Böhi sind Massnahmen wie zum Beispiel das Maskentragen in seiner Bedeutung umstritten. Der Arzt fragt sich darüber hinaus, warum diesem Virus immer noch eine solche Bedeutung beigemessen werde?Warum werde die gesamte Bevölkerung auch heute noch ohne absehbares Ende mit Schutzmassnahmen drangsaliert? Laut der besten Evidenz (Ioannidis, Streeck) liege die Letalität bei durchschnittlich circa 0,2 Prozent und damit im Bereich einer starken Influenza. Zudem sei das Sterberisiko für die Allgemeinbevölkerung im Schul- und Arbeitsalter marginal.
Das Thema Corona wird derzeit in der Politik vor dem Hintergrund der Schutzmassnahmen wieder heftig diskutiert. So äusserte sich die Zürcher SP-Regierungsrätin auf Social Media skeptisch zur Maskenpflicht im Kanton Zürich, was ihr viel Kritik einbrachte. Doch auch in Fachkreisen wird die Diskussion immer wie lebhafter. Innerhalb der Ärzteschaft und unter Experten bestehen unterschiedliche Meinungen. Carlos Quinto von der Ärzteverbindung FMH wies in der Ärztezeitung (in einer Replik auf den Beitrag von Böhi) darauf hin, dass es sicher gilt, «im Nachgang zur Pandemie die ganzen Abläufe und Massnahmen kritisch zu beurteilen und Verbesserungsmöglichkeiten vorzuschlagen.»
Für die FMH ist die Krankheitslast wichtiger
«Bezüglich Covid-19 befinden wir uns alle, Experten eingeschlossen, weiterhin noch in einer Phase des Lernens», relativiert Quinto. Für den Chef Public Health bei der FMH sollte als Beurteilungskriterium für die Massnahmen aber primär die «Krankheitslast» und nicht die Mortalität gewählt werden. So liege das Durchschnittsalter der Patienten auf den Intensivstation wesentlich tiefer als das Durchschnittsalter der verstorbenen Patienten, argumentiert er.
Die Diskussion dreht sich weiter. Doch nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei der Ärzteschaft und bei Gesundheitsfachleuten ist ein wachsender Widerstand gegen die Schweizer Pandemie-Politik festzustellen. Doch wirklich lauten Widerspruch gibt es noch nicht. Es mehren sich allerdings die Anzeichen, dass sich die Corona-Debatte langsam aber sicher öffnet und nicht mehr hauptsächlich durch die Fachleute der Bundes-Expertengruppe geprägt wird.