Schilddrüsenvergrösserung? Schilddrüsenvergrösserung! Das ist die mit Abstand am häufigsten gesuchte Krankheit in Deutschland (beziehungsweise auf deutsch). Durchschnittlich 294'000 mal pro Monat sucht jemand nach diesem Begriff. Weniger als halb so oft wird nach den Volkskrankheiten Diabetes (140'220 Suchen pro Monat, Rang 2) und Hämorrhoiden (127'400, Rang 3) gesucht.
Dies das überraschende Ergebnis einer Untersuchung der deutschen
Central Krankenversicherung. Dabei wurden 41,2 Millionen Google-Suchen ausgewertet.
Es zeigte sich: Chronische Krankheiten, psychische Leiden und Tabukrankheiten führen das Ranking der meistgesuchten Krankheiten an. Für die Autoren der Studie deutet sich damit an, dass die Tabukrankheiten Hämorrhoiden und Magersucht «offensichtlich eine deutlich höhere gesellschaftliche Relevanz haben, als es die Zahl an tatsächlichen Diagnosen durch Ärzte vermuten lässt.»
Durchschnittliches Suchvolumen pro Monat
- Schilddrüsenvergrösserung: 294'690
- Diabetes: 140'220
- Hämorrhoiden: 127'400
- Magenschleimhautentzündung: 118'740
- Magersucht: 109'020
- Neurodermitis: 107'240
- ADHS: 103'720
- Depression: 102'430
- Durchfall: 99'270
- Bluthochdruck: 96'470
Warum ausgerechnet die Schilddrüsenvergrösserung Spitzenreiter des Rankings ist? Und weshalb so klar? «Die Ursachen der Schilddrüsenerkrankung sind ebenso vielfältig wie die Therapieansätze», vermutet Markus Homann, Leiter des Gesundheitsmanagements der Central: «Damit sind hier auch die Verunsicherung und das Informationsbedürfnis bei den Patienten sehr hoch.»
Ausgehend von den meistgesuchten Krankheiten fahndete die Krankenkasse dann danach, wie es um die Qualität der im Internet veröffentlichten Gesundheitsinformationen bestellt ist. Ein Ärzteteam der Central analysierte insgesamt 100 Ratgeberseiten – und kam nach Prüfung von 24 Kriterien zu einem ernüchternden Ergebnis: Mehr als 30 Prozent der bewerteten Webseiten schnitten «mangelhaft» oder gar «ungenügend» ab. Über alle 100 Webseiten hinweg wurde gerade einmal die Durchschnittsnote «ausreichend» erzielt.
«…ist dieses Ergebnis mehr als bedenklich»
Es ist klar, dass dieses Bild auch für die Schweiz gelten musst – da die Leute hier weitgehend auf dieselben Seiten stossen.
«Angesichts der Tatsache, dass etwa 80 Prozent der Internetsurfer Gesundheitsinformationen im Netz suchen, ist dieses Ergebnis mehr als bedenklich», sagt Markus Homann, Leiter des Gesundheitsmanagements der Central Krankenversicherung. «Bei Gesundheitsinformationen im Internet muss man im Sinne der Patientensicherheit akribisch und streng sein. Die meisten Angebote dagegen sind unvollständig, fehlerhaft und lassen den Suchenden oft ohne jegliche Einordnung zurück.»
Basis der Erhebung war ein Krankheitenkatalog, der auf Grundlage öffentlicher Diagnosestatistiken sowie der Expertise eines interdisziplinären Ärzteteams erstellt wurde. Er umfasst sowohl die am häufigsten in deutschen Arztpraxen diagnostizierten Krankheiten als auch die wichtigsten Tabukrankheiten, die deutlich seltener zum Arztbesuch führen.
Das eher traurige Bild, welches die Central-Versicherung von deutschen Online-Gesundheitsseiten zeichnet, überrascht mittlerweile nicht mehr. Ähnliches ergab zum Beispiel eine Untersuchung, welche von der amerikanischen Harvard University jüngst erarbeitet wurde. Die Wissenschaftler aus Boston testeten 23 angelsächsische Sites – darunter führende Angebote wie Web M.D., DocResponse oder den Symptom-Checker der Mayo Clinic. Und ihr Resultat war eher enttäuschend: In nur einem Drittel der Fälle listeten die Sites die richtige Diagnose als oberste Möglichkeit auf.
In jedem zweiten Fall eine falsche Diagnose
Das heisst umgekehrt: In zwei Dritteln der Fälle tippte das digitale Diagnosetool auf etwas anderes.
Danach wurde es auch kaum besser. Denn insgesamt schaffte es die korrekte Diagnose nur in jeweils der Hälfte der Beispiele überhaupt unter die ersten drei Vorschläge. Oder anders: In jedem zweiten beschriebenen Krankheitsfall setzten die Programme auf falsche Diagnosen – die Erfolgsquote der Münze.
Hannah L Semigran, Jeffrey A. Linder, Courtney Gidengil, Ateev Mehrotra: «Evaluation of symptom checkers for self diagnosis and triage: Audit study», in: BMJ, Juli 2015 Insgesamt 45 verschiedene Krankheitsbilder vermittelte das Team um Ateev Mehrotra von der Harvard Medical School an die Websites. Dabei unterschied man auch – wo möglich – nach Triage-Anforderungen: Bei welchen Beschreibungen sollte der symptom checker den Gang zum Notarzt empfehlen? Wo genügte Selbsttherapie?
Der Vorteil: Die Symptomchecker sind risikoavers
Hier fielen die Ergebnisse etwas besser aus: In 57 Prozent der Beispiel erschien der Triage-Vorschlag korrekt, wobei die Positiv-Quote bei den dringendsten Fällen mit 80 Prozent doch recht hoch war. Umgekehrt empfahlen sie in den leichten Fällen, wo eine Selbsttherapie genügte, in zwei Dritteln der Fälle den Gang zum Notarzt oder zumindest einen Arztbesuch.
Die Symptom-Checker scheinen also grundsätzlich ziemlich risikoavers eingestellt. Was angesichts der Akkuratesse ihrer Ergebnisse wohl auch nötig ist…