Ein bisschen – nur ganz wenig – erinnert die Sache ja an China, wenn nicht gar Nordkorea. Aber sie wurde gestern in England angekündigt. Das staatliche Gesundheitssystem NHS plant den Bau beziehungsweise die Entwicklung von zehn «Healthy New Towns». Bis in zehn Jahren werden diese Gesundheits-Retortenstädte 76'000 neue Wohnungen bieten, gut 170'000 Menschen sollen dort wohnen.
Sie dürften in einem grossen Experimentierfeld leben – denn ums Experimentieren geht es. Mit dem «Healthy New Towns»-Projekt werden Ideen ausgestestet, die sich dann später einmal für die gesamte Bevölkerung eignen könnten.
Generationenübergreifend gedacht
Dabei wird in den 10 Modellstädten – erstens – eine eigene, moderne, wegweisende, modellhafte Gesundheitsversorgung aufgebaut. Und zweitens werden die Siedlungen so konstruiert, dass sie einen gesunden Lebensstil fördern.
Das ist generationenübergreifend gedacht. Mit der Folge, dass einerseits das Übergewicht, andererseits Demenz zu den Hauptthemen-Feldern gehören, die in den «Healthy New Towns» angegangen und quasi umgebaut werden sollen.
Was heisst das konkret? Die Mustersiedlungen bieten zum Beispiel:
- Fast-Food-freie Zonen in der Nähe von Schulen;
- sichere und von überall erreichbare Grünflächen;
- demenz-berücksichtigende Strassen;
- jederzeit zugängliche Telemedizin- und Hausarzt-Dienste.
Dies nur so als vager Rahmen. Denn die neuen Städte sollen mit den Bewohnern selber erdacht werden; gemeinsam gehen Planer, Designer, Mediziner und die Menschen vor Ort jeweils Fragen an wie: Macht es Sinn, in normalen Strassen und Wege Abenteuer- und Bewegungs-Bereiche einzubauen? Oder: Wie lässt sich die Technologie so einsetzen, dass ältere Menschen länger am gewohnten Ort wohnen bleiben können?
Was ist eine anti-adipöse Umgebung?
Das Megaprojekt ist ein Kernanliegen von Simon Stevens, dem 2013 ernannten Chef des britischen Gesundheitssystems NHS. Gestern gab Stevens bekannt, welche eingereichten Projekte berücksichtigt wurden und nun zu Gesundheitsstädten ausgebaut werden. Denn man muss wissen: Insgesamt hatten sich 114 Gemeindebehörden, Baugenossenschaften, NHS-Kliniken oder Immobilienfirmen darum beworben, so eine Gesundheits-Siedlung zu errichten.
Die nun ausgewählten Neu-Städte werden unter anderem in Lancashire, Hampshire, Devon, Oxford und London errichtet; die grösste «Health-Town» ist in Kent geplant – hier handelt es sich um eine Gartenstadt für über 20'000 Menschen –, und in Darlington entsteht ein «virtuelles Altersheim», wo zahlreiche Wohnungen digital und institutionell so verbunden werden, so dass quasi eine zerstreute Pflegesiedlung entsteht.
Gewiss, das mag teils an die Planungs-Ungeheuerlichkeiten der 1950er bis 1970er Jahre erinnern. Bei der Präsentation sprach NHS-Chef Stevens gestern denn auch recht technokratisch von der Schaffung eines «obesogenic environment» (was man wohl mit anti-adipositöser Umgebung übersetzen könnte); beziehungsweise vom «design in» von Gesundheit und Wohlbefinden.
Gebaut werden müssten die Städte sowieso
Trotzdem: Lehrreich dürften die britischen Versuche allemal werden, auch für uns. Denn klar ist, dass in den nächsten Jahren steigende Milliardenkosten in die Gesundheit fliessen müssen; und wenn unbestritten ist, dass Übergewicht und Bewegungsmangel, Demenz und Pflegebedürftigkeit hier teure Faktoren bilden, so müssen bauliche Massnahmen zwangsläufig Teil der Antwort sein. Warum also nicht gleich geplant?
Die Kosten sind dabei gar nicht so wichtig, so Simon Stevens, denn: Gebaut werden müssten diese Siedlungen sowieso. «Der dringend benötigte Anschub zum Bau neuer bezahlbarer Wohnräume in ganz England schafft eine einmalige Gelegenheit, um dazu beizutragen, dass die Gesundheit gefördert wird und mehr Menschen unabhängig bleiben.»