Pharma ist bekanntlich ein Geschäft voller Pseudo-Innovationen, und medizinische Fortschritte entpuppen sich immer wieder mal als besserer Placebo-Effekt. Die wahre Entwicklung in der Pharmazie lässt sich denn nur schwer greifen. Etwas Orientierung im Dschungel bietet allerdings der «Novel New Drugs Summary», ein Bericht, den die US-Arzneimittelbehörde FDA jeweils zu Jahresbeginn veröffentlicht.
Im diesem «Summary» listet die Behörde nämlich jene Medikamente und Wirkstoffe auf, die sie im Vorjahr bewilligte und die – so die Definition – «wahrhaft innovative Produkte sind, die oftmals helfen, die ärztliche Betreuung auf ein neues Niveau zu heben».
Das letzte Rekordjahr war 1996
Es geht also um Mittel, welche die Medizin wirklich weitergebracht haben und quasi hochoffiziell als bahnbrechend bezeichnet werden.
Die gute Nachricht dazu: Im letzten Jahr winkte die FDA 45 «novel new drugs» durch – es war der höchste Stand seit zwei Jahrzehnten. Oder genauer: seit dem Rekordjahr 1996, als 53 Innovations-Mittel bewilligt worden waren.
Neu und neuartig: Spürbar wird also, dass sich die Forschungsanstrengungen der Pharmaindustrie gesteigert haben – und/oder dass sie erfolgreicher waren. Eine weitere Zahl in diesem Zusammenhang: Die europäische Schwester der FDA, die
European Medicines Agency, schlug letztes Jahr 93 neue Mittel zur Bewilligung vor – 11 mehr als im Jahr davor.
Allerdings schlägt sich das Ergebnis bestenfalls sehr indirekt in einer besseren Gesundheitsversorgung nieder. Denn:
- Fast die Hälfte der von der FDA gepriesenen Innovationen kommen bei seltenen Krankheiten zum Einsatz. Diese «orphan drugs» können also im Einzelfall extrem hilfreich sein – die grosse Menge der Bevölkerung treffen sie jedoch nicht.
- Hinzu kommen Mittel, die trotz behördlichem Lob auch angezweifelt werden oder die manche Ärzte eher als «Lifestyle»-Mittel einschätzen werden, etwa das «Frauen-Viagra» Flibanserin (dessen Wirkung bekanntlich durchaus umstritten ist) oder den Doppelkinn-Bekämpfer Kybella.
- Die FDA nennt aber eine Reihe von Mitteln, denen sie explizit einen grossen medizinischen Nutzen bei grosser Breitenwirkung zutraut. Beispielsweise das Antibiotikum Avycaz, das bei komplizierten Infektionen im Harntrakt hilft; ferner die Cholesterin-Senker Praluent und Repatha sowie eine ganze Reihe von Mitteln, die im Kampf gegen Knochenmark-Krebs neue Qualitäten an den Tag brachten.
Als erfolgreichster Konzern präsentierte sich dabei Novartis: Die Basler schafften gleich vier neubewilligte Patente auf die Liste der bahnbrechenden Mittel. Es waren dies das Herzinsuffizienz-Mittel Entresto, der Psoriasis-Wirkstoff Cosentyx sowie die Krebsmittel Farydak (gegen Multiples Myelom) und Odomzo (Basalzellenkarzinom).
Damit setzte sich Novartis vor Pfizer, Sanofi, AstraZeneca, Amgen und Johnson & Johnson, die jeweils mit zwei oder drei bahnbrechenden Mitteln aufgeführt werden.
Und nächstes Jahr dann Roche?
Aus der Schweiz zu erwähnen ist ferner Actelion, dessen Blutdruckmittel Uptravi von der FDA ebenfalls als «novel new medicine» gewürdigt wird. Vielleicht erstaunlich wirkt auf der anderen Seite, dass der andere Schweizer Pharmariese diesmal eher diskret auftrat: Roche schaffte es diesmal lediglich mit dem Kinasehemmer Cotellic in die Ränge.
Allerdings: Pharma-Analysten weisen darauf hin, dass das Bild im neuen Jahr bereits wieder anders ausfallen könnte. Denn immerhin stünden die Chancen gut, dass Roche mit dem Immun-Krebsmittel Atezolizumab 2016 früh ein bahnbrechendes «novel new» Medikament auf den Markt bringen könnte – und zugleich mit der Multiple-Sclerose-Hoffnung Ocrelizumab einen weiteren Blockbuster durch die Bewilligungs-Instanzen bringen dürfte.