Wenn Pharma-Profis die teils horrende Preisentwicklung von Krebs-Mitteln vorgeworfen wird, greifen sie gern auf ein Qualität-Argument zurück: Die neuen Mittel wirken wenigstens. Oder anders: Sehr teure Medikamente sind auch sehr viel besser.
Eine Forschergruppe der Queens University im kanadischen Ontario widerspricht nun. Sie legt eine grosse Datenauswertung vor, laut der es keine Korrelationen gibt zwischen Effektivität einer Therapie und deren Preis. Die teuersten Mittel waren beileibe nicht die nützlichsten.
Dabei nahmen die Kanadier einerseits die Qualitätsmassstäbe der Onkologen-Gesellschaften von Amerika und Europa, ASCO und ESMO; sie nahmen also jene Beurteilungsraster, bei denen die Überlebensdauer ins Verhältnis gestellt wird etwa zur Toxizität und zur Lebensqualität. Dann werteten sie alle Kontroll-Versuche mit neu bewilligten Medikamenten aus, welche in der internationalen Fachpresse zwischen 2011 und 2015 veröffentlicht worden waren; dabei ging es um Mittel gegen Lungen-, Brust-, Darm- und Bauchspeicheldrüsen-Krebs.
Fazit: Es gab keine Beziehung zwischen dem Preis eines Medikamentes und den Verbesserungen bei der Überlebensdauer oder der Lebensqualität. Oder genauer: Es gab sogar «negative correlations between framework outputs and drug costs».
Sorge: Akzeptiert das die Öffentlichkeit
Dabei interpretierte die Forscher um den Onkologie-Professor Christopher M. Booth die Ergebnisse durchaus vorsichtig: «Unsere Daten unterstellen nicht, dass der Einsatz dieser Mittel unangebracht sei», sagte Studienleiter Booth
dem Fachorgan «Medicalxpress»: «Diese Behandlungen wurden aufgrund von gut gestalteten klinischen Versuchen eingeführt. Unsere Sorge ist aber, dass die sehr kleinen Fortschritte bei vielen Behandlungen durch die Öffentlichkeit und auch durch einzelne Patienten nicht voll anerkannt werden können.»
Das Problem sei, dass die meisten Vertreter der Öffentlichkeit und viele Patienten nicht ahnen, dass die «Durchbrüche in der Krebstherapie», von denen sie in den Medien lesen, «normalerweise keine Heilung bedeuten, sondern eine Lebensverlängerung um wenige Wochen oder vielleicht wenige Monate.»
Disconnect neu einschätzen
Am Ende ihrer Studie schreiben die Autoren jedenfalls, dass eine optimale Betreuung der Krebskranken im Rahmen eines nachhaltigen Systems eben auch verlangt, dass die Onkologen, Forscher und Entscheidungsträger diese mangelnde Beziehung («disconnect») zwischen Medikamentenkosten und klinischem Nutzen neu einzuschätzen beginnen.
Anders formuliert: Die Preise für Onkologika stiegen in den letzten Jahren dramatisch steiler als die Erfolge – und das dürfte sich nicht mehr sehr lange halten lassen.
Unlängst gab es dazu neue Daten aus Wien: Das
Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment untersuchte die Erfolge jener Onkologika, welche in den letzten Jahren neu zugelassen wurden (beziehungsweise mit einer neuen Indikation in der Krebstherapie eingesetzt werden konnten).
Die Forscher nahmen dabei 73 Mittel ins Visier, welche zwischen 2009 und 2015 in Österreich zugelassen worden waren. Dabei erarbeiteten sie aber zugleich einen internationalen Vergleich. Denn die Autoren des Boltzmann-Instituts werteten Einschätzungen aus mehreren europäischen und nordamerikanischen Ländern aus, inklusive Arbeiten von Organisationen wie ESMO und ASCO, dem deutschen IQWiG oder der WHO.
Und da die Schweiz (wie Österreich) zu den early adopters zählt und neue Wirkstoffe recht liberal bewilligt, gehören die hier erfassten Medikamente weitestgehend auch zum therapeutischen Alltag in der Schweiz.
«Not recommended»
Ein Eindruck, der dabei entstand: Selbst viele Mittel, die erst in den letzten Jahren zugelassen wurden, sind faktisch unnütz. Konkret meldeten die Wiener Wissenschaftler:
- Bei insgesamt 73 Medikamenten in 114 Indikationen konnte in 26 Fällen nicht gesagt werden, dass sie das Leben verlängern oder den Fortschritt der Krankheit dämpfen.
- In 37 Fällen liess sich eine Lebensverlängerung um bis zu 3 Monate festmachen.
- Und in 14 Fällen lag die statistische Lebensverlängerung zwischen 3 und 5,8 Monaten.
Eine Grundlage der Boltzmann-Studie bildete die Aufarbeitung, welche Medikamente in welchen Ländern durch Kassen, Sozialversicherungen oder im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems übernommen werden – ob in Nordamerika oder Europa beziehungsweise von Skandinavien bis Italien. Auch hier fand sich eine Qualitätsbeurteilung der Medikamente, und die fiel insgesamt mässig aus.
Konkret: 14 Medikamente in 15 Indikationen wurden durchwegs negativ beurteilt («not recommended»). Auf der anderen Seite wurden 16 Medikamente in 22 Indikationen durchwegs positiv beurteilt («recommended»). 27 weitere Medikamente in 34 Indikationen werden zwar nicht einheitlich, aber doch von den meisten Organisationen respektive Staaten, in denen das Medikament eingesetzt wird, negativ eingeschätzt. Zum Beispiel mit Beurteilungen wie «nur geringer Zusatznutzen».
Erwähnt sei, dass 11 der 14 durchwegs als «not recommended» eingestuften Medikamente in der Schweiz zugelassen und im therapeutischen Einsatz sind.