Fahrlässige schwere Körperverletzung: So lautet das Urteil gegen die Tessiner Kantonsspital-Gruppe EOC. Der Richter am Strafamtsgericht Bellinzona folgte in der Argumentation weitgehend dem Staatsanwaltschaft – und sprach eine Strafzahlung von 60'000 Franken aus.
Im Dezember 2013 waren im Ospedale Civico von Lugano drei Patienten mit Hepatitis C infiziert worden. Der Vorfall ereignete sich beim Spritzen eines Kontrastmittels in der Radiologieabteilung. Die EOC anerkannte den Fehler und bot ihre medizinische und psychologische Unterstützung an; in der Zwischenzeit gelten die Patienten als geheilt.
«Con impatto nazionale»
«Lesioni colpose gravi», lautet dennoch die Einschätzung des Gerichts. «Man muss kein Arzt sein, um zu verstehen, dass dies eine ernsthafte Krankheit ist, die nicht nur körperlich, sondern auch emotional beeinträchtigt», sagte Richter Siro Quadri in der Urteilsbegründung.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafzahlung von mindestens 100'000 Franken verlangt. Doch obwohl das Urteil des Strafrichters in Bellinzona unter dieser Forderung blieb, kündigte das Kantonsspital umgehend an, dass es den Entscheid anfechten werde. Denn für die Leitung des EOC, vor Ort vertreten durch CEO Giorgio Pellanda, könnte dieser Fall einen Wendepunkt fürs Schweizer Gesundheitssystem bilden: «una sentenza con impatto nazionale».
Wann kann ein Spital strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Selbst während der Behandlung sei nie bezweifelt worden, dass das Ospedale Civico höchste Standards der Sicherheit und der Transparenz biete, so die Spital-Argumentation. Unbestritten sei auch gewesen, dass sich alle Beteiligten an die Vorschriften sowie an nationale und internationale Standards gehalten hätten.
«Cosi fan tutte»-Logik
Es hätte fatale Konsequenzen, die normale Spitalarbeit strafrechtlich derart zu bedrohen. Und der Fall der infizierten Patienten zeige nurmehr, dass hundertprozentige Sicherheit nicht möglich ist – dies die Schlussfolgerung des EOC. Eine Argumentation, welche Staatsanwalt John Noseda als «Cosi fan tutte»-Logik abtat.
Das Kernproblem: Weder dem Spital noch den ermittelnden Behörden war es gelungen, die Verantwortlichen für die Infektion zu eruieren; dies auch, weil die Ansteckung erst viel später erkannt worden war. Das Gericht drehte dieses Problem nun gegen das Spital: Die Wissenslücke widerspreche dem kantonalen Gesundheitsgesetz, welches verlangt, dass alle Abläufe rekonstruiert werden müssen.
Und genau hier könnte sich der erwähnte Wendepunkt auftun. Sollten die Spitäler den in Bellinzona gesetzten Standards entsprechen müssen, hätten sie die Pflicht, enorme Datenmengen über Einzelhandlungen zu speichern, auf Monate hinaus – auch von Routineschrittchen. Und dennoch, so nun die Argumentation der EOC, würde bei rund 70'000 Spitalinfektionen pro Jahr in der Schweiz grosse Unsicherheit entstehen.