Weshalb also die nationalen Arbeitgeberverbände die Pflegeinitiative bekämpfen, erschliesst sich uns nicht. Sie sagen, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei eine Aufgabe der Kantone und des bewährten sozialpartnerschaftlichen Dialogs. Tatsache ist, dass die Arbeitgeber wenig Spielraum haben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, da die Entschädigung der Pflegeleistungen zu tief ist. Tatsache ist auch, dass sie wenig Interesse daran haben. Denn ansonsten hätten sie das Problem ja bereits lösen können und wir wären heute nicht in dieser prekären Situation.
Wir haben in den letzten Jahren viele Gespräche mit den nationalen Arbeitgeberverbänden geführt. Dass sie unsere Lösungen ablehnen, war leider schnell klar. Jedoch kamen keine konkreten Vorschläge, wie die Situation in der Pflegepraxis verbessert werden kann. Nun sollen es plötzlich die Sozialpartner richten. Auch die Einführung einer Mindestzahl an Pflegenden als Voraussetzung zur Sicherung der Pflegequalität, wurde stets abgelehnt. Die Begründung hat H+ am 29. September 2020 im Kassensturz geliefert: «Man könne nicht mehr Leute anstellen, weil es dazu auch finanzielle Mittel bräuchte». Und genau diese Mittel schafft die Pflegeinitiative ja.
Das Bundesparlament erlässt die Finanzierungsmechanismen für die Spitäler, Psychiatrie, die stationäre und ambulante Langzeitpflege und die Rehabilitation auf Stufe Gesetz. Der Bund legt also fest, wie viele Mittel den Betrieben für die Mitarbeitenden zur Verfügung stehen. Die brutale Wahrheit ist: Den Sozialpartnern und auch den Kantonen fehlen heute die Instrumente, um die Problematik zu entschärfen. Also braucht es eine Bundeslösung: Im Interesse aller pflegebedürftigen Personen und im Interesse aller Pflegenden. Eine angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen ist die Voraussetzung, damit die Spitäler, Psychiatrien, Rehabilitationszentren, Alters- und Pflegeheime sowie Spitex die Arbeitsbedingungen verbessern, genügend Pflegepersonal anstellen und angemessene Löhne bezahlen können. Dass die Arbeitgeberverbände dagegen ankämpfen, ist schlicht unverständlich. Sie müssen diese Entscheidung aber vor allem ihren Mitarbeitreinnen und Mitarbeitern erklären, die tagtäglich an ihre Belastungsgrenzen gehen, um die Patientinnen und Patienten zu pflegen.
Ein klassischer Vorwurf gegen eine Volksinitiative ist, dass ein indirekter Gegenvorschlag schneller in Kraft trete. Weil das Initiativkomitee vorausschauend gehandelt hat, trifft dies bei der Annahme der Pflegeinitiative nicht zu. Tritt diese in Kraft, so muss der Bundesrat auf dem Verordnungsweg innert 18 Monaten «Massnahmen zur Behebung des Mangels an diplomierten Pflegefachpersonen» treffen.
Ist der Gegenvorschlag besser als nichts?, lautete kürzlich ein Untertitel bei Medinside. Die Antwort ist klar Ja. Die zentrale Frage ist aber: Reicht er, um die eingangs genannten und von allen anerkannten Probleme in der pflegerischen Versorgung zu lösen? Die klare Antwort ist Nein. Es braucht mehr als eine Ausbildungsoffensive und einen eigenverantwortlichen Bereich für Pflegeleistungen. Würde man keine Massnahmen ergreifen, um die Pflegenden länger im Beruf zu halten, so müsste man sogar von einer Verschwendung von öffentlichen Mitteln sprechen. Zudem ist es mehr als ungewiss ob diese Bundesmittel überhaupt in vollem Umfang fliessen, denn es braucht dazu die Zustimmung der jeweiligen Kantonsparlamente, die diese Mittel in gleichem Umfang auf ihrem Gebiet ebenfalls zur Verfügung stellen müssen. Verweigern die Kantonsparlament die Ausbildungs-Budgets, dann gibt es keine Bundesmittel und die Ausbildungsoffensive bleibt Theorie.
Der indirekte Gegenvorschlag ändert nichts an den Arbeitsbedingungen aller Pflegenden, die heute im Beruf arbeiten und er bietet keine Lösungen für eine bessere Personaldotation auf den Abteilungen. Das ist inakzeptabel. Die Praxisrealität ist so prekär, dass viele Pflegende zu rasch den Beruf verlassen. Wir müssen jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen.
Wer die Kernforderungen teilt, wer die Pflege und die Pflegequalität wirklich stärken will, sagt Ja zur Pflegeinitiative.
Yvonne Ribi, Geschäftsführerin SBK-ASI, Mitglied Initiativkomitee