Wenn der Bundesrat ein Postulat zur Annahme empfiehlt, so ist es meistens gegessen, und das Anliegen wird im Rat durchgewunken.
Unter Primärsysteme versteht man all die Praxis- und Klinikinformationssysteme in Spitälern, Arztpraxen, Apotheken, Alters- und Pflegeheimen oder bei der Spitex. Sie dienen der Dokumentation von Diagnosen, Behandlungen, Pflege und Therapie.
Im Gegensatz dazu gehört das elektronische Patientendossier (EPD) zu den Sekundärsystemen. Die meisten Primärsysteme sind mit Sekundärsystemen und medizinischen Geräten über Schnittstellen verbunden - oder sollten es wenigstens sein.
Über 80 Systeme
Hier fängt das Problem an. Es tummeln sich über 80 verschiedene Systeme auf dem Markt. Nicht alle vermögen zu überzeugen. Nicht immer ist die Interoperabilität gegeben. Nicht immer können Schnittstellen mit dem EPD mit einem vertretbaren Aufwand gebaut werden.
Deshalb soll der Bund Mindeststandards definieren, nicht nur um die Interoperabiltät zu ermöglichen, sondern auch um die Qualität zu sichern.
Behandlungsfehler
«Ungenügende Primärsysteme bergen die Gefahr von Behandlungsfehlern, beispielsweise weil Patientinnen und Patienten einfach verwechselt werden können», warnt Sarah Wyss, SP-Nationalrätin aus Basel-Stadt. Sie ist übrigens Co-Leiterin Direktion für Medizin und Pflege in der Psychiatrischen Klinik in Bern (UPD).
So einleuchtend diese Argumente auch sein mögen, so gibt es trotzdem Opposition. Und zwar nicht weil die SVP aus Prinzip Opposition macht, wie mitunter kolportiert wird, sondern weil der Bund gemäss den Worten von SVP-Nationalrat Thomas Aeschi die falsche Institution ist. Der SVP-Fraktionspräsident erinnert daran, wie der Bund beim Projekt Insieme einen Verlust von fast einer Milliarde Franken eingefahren hat. Er habe dann das ganze System neu aufsetzen müssen.
«Das falsche Organ»
«Ich würde schätzen, dass die Kosten in die Milliarden gehen», warnt Aeschi. «Wir sind deshalb der Meinung, dass der Bund mit Sicherheit das falsche Organ ist, um solche Mindeststandards zu definieren.» Der freie Markt könne das besser. Die Konkurrenzsituation werde dafür sorgen, dass sich die Besten bewähren werden.
«Eben nicht», sagt Walter Stüdeli im Gespräch mit Medinside. Er ist Geschäftsführer von IG eHealth. «Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Markt es nicht geschafft hat, die qualitativ ungenügenden Systeme zu verdrängen.»
Keine Abstimmung
Und wie hat nun der Rat abgestimmt? Fehlanzeige: «Unsere Informatiker arbeiten zurzeit an der Behebung der Probleme mit der Abstimmungsanlage», erklärt Ratspräsident Eric Nussbaumer. Die Abstimmungen werden somit am Mittwochmorgen früh nachgeholt.
Die Ironie des Schicksals: Ausgerechnet in dem Moment, als der Eidgenossenschaft jegliche Kompetenz in Sachen IT abgesprochen wird, steigt die Abstimmungsanlage aus.
Für SVP-Nationalrat Thomas Aeschi ist der Bund das falsche Organ, um ein IT-Projekt umzusetzen.
Nachdem am Dienstagnachmittag die Abstimmungsanlage im Nationalrat ausgestiegen war, konnten die Abstimmungen erst am Mittwochmorgen durchgeführt werden. Das Postulat «Mindeststandards für Primärsysteme im Gesundheitswesen» ist erwartungsgemäss mit 120 Ja- zu 66 Neinstimmen angenommen worden. Die SVP stimmte geschlossen dagegen.