Die Pflege muss eine gesundheitspolitische Priorität werden

«Für halbherzige, komplizierte und zögerliche Lösungen bleibt keine Zeit», schreibt Yvonne Ribi, die Geschäftsführerin des SBK.

, 16. September 2023 um 04:11
image
«Die Finanzierung der Pflegeleistungen ist seit Jahren zu tief», bemängelt SBK-Geschäftsführerin Yvonne Ribi. | zvg
Die tragende Rolle der Pflege in der Gesundheitsversorgung ist unbestritten. Damit die Pflege weiter tragfähig bleibt, die Versorgung dank genügend gut ausgebildeten Pflegefachpersonen sichergestellt ist und dank neuen Rollen eine berufliche und interprofessionelle Weiterentwicklung möglich ist, muss sie eine gesundheitspolitische Priorität werden. Einer neuen Gesundheitsministerin oder einem neuen Gesundheitsminister kommt hier eine grosse Bedeutung zu.

«Die Anmeldezahlen für die Pflegeberufe stagnieren oder sinken auf das Niveau vor der Pflegeinitiative und der Pandemie.»

Der Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen akzentuiert sich, und zwar in allen Versorgungsbereichen. Dass wir in unserer Branche nicht alleine auf der verzweifelten Suche nach Nachwuchs sind, macht die Situation nicht besser. Allerdings sind kranke, verunfallte und vulnerable Menschen, die ihr Leben lang Krankenkassenprämien und Steuern bezahlt haben, auf unsere Leistungen angewiesen. Erhalten sie die für sie notwendigen Leistungen nicht, vergrössert sich das Leid dieser Menschen.

«Die demografische Entwicklung macht schon lange deutlich, dass viel weniger Junge für die Ausbildungen zur Verfügung stehen.»

Die Anmeldezahlen für die Pflegeberufe stagnieren oder sinken auf das Niveau vor der Pflegeinitiative und der Pandemie. Das ist wenig überraschend, denn die demografische Entwicklung macht schon lange deutlich, dass viel weniger Junge für die Ausbildungen zur Verfügung stehen. Die Pflege ist dieser demografischen Realität unterworfen und muss sich mehr denn je im Wettbewerb der Berufe behaupten.
Damit bei zukünftigen Fachkräften der Pflegeberuf in der Berufswahl obsiegt, müssen neben den Argumenten der Sinnhaftigkeit und der Jobsicherheit auch attraktive und mit anderen Branchen vergleichbare Arbeits- und Anstellungsbedingungen geboten werden – während und nach der Ausbildung.
Problematisch ist, dass in Zukunft viel mehr Menschen auf Pflege angewiesen sein werden. Wie schliessen wir also diese Lücke zwischen der hohen Nachfrage an Pflegeleistungen und dem zu tiefen Angebot an Arbeitskräften in einem System, in welchem die Preise politisch reguliert sind?

«Viele Institutionen haben erst durch tiefere Einnahmen wegen gesperrten Betten die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Pflege in vollem Umfang erkannt.»

Klar sind die Arbeitgeber in der Pflicht, die betriebsinterne Verteilung der Gelder zu überdenken und mehr Geld in die Pflege zu investieren – um neue Fachkräfte auszubilden und bereits ausgebildete im Beruf zu halten. Viele Institutionen haben erst durch tiefere Einnahmen wegen gesperrten Betten die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Pflege in vollem Umfang erkannt. Viele haben reagiert, Zeitzuschläge erhöht und Löhne und Zulagen im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten nach oben angepasst.
Dass aber die Finanzierung der Pflegeleistungen in allen Versorgungsbereichen seit Jahren zu tief ist und den Handlungsspielraum der Institutionen für die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen einschränkt, ist ebenfalls eine Realität. Es liegt also auf der Hand, dass wir uns an die Instanzen wenden müssen, welche die Preise und die Anreizsysteme im Gesundheitswesen festsetzen – und das sind die kantonalen und nationalen politischen Organe und ihre Behörden. An ihnen ist es, mit Entscheidungen dafür zu sorgen, dass genügend Mittel im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen, um mehr Pflegende auszubilden und sie dank guten Arbeitsbedingungen im Beruf zu halten.

«Für halbherzige, komplizierte und zögerliche Lösungen bleibt keine Zeit.»

Die 2021 von Volk und Ständen angenommene Pflegeinitiative verpflichtet die Politik und ihre Behörden sogar dazu, den neuen Bundesverfassungsartikel «Pflege» umzusetzen und endlich wirksame Massnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Pflege zu ergreifen. Für halbherzige, komplizierte und zögerliche Lösungen bleibt keine Zeit. Eine schnelle und unkomplizierte Umsetzung der angekündigten Massnahmen tut Not und wird von den Pflegenden auch erwartet.
Dies gilt insbesondere auch für die Kantone, die meines Wissens erstmals in der Geschichte der Sozialpartnerschaft vom Berufsverband und den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden und der Konferenz der Gesundheitsdirektoren und Gesundheitsdirektorinen (GDK) in einer gemeinsamen Erklärung aufgefordert wurden, rasch zu handeln und Sofortmassnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Pflege zu ergreifen und sogar eine Vorfinanzierung dieser Massnahmen zu prüfen.
Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK).

    Artikel teilen

    Loading

    Comment

    2 x pro Woche
    Abonnieren Sie unseren Newsletter.

    oder

    Mehr zum Thema

    image

    CHUV: Neue Chefs für Radioonkologie und Viszeralchirurgie

    Fernanda Herrera leitet künftig den Bereich Radioonkologie, David Fuks ist Chefarzt Viszeralchirurgie.

    image

    Asbest: Ein unsichtbares Erbe – auch für die Krankenkassen

    Jahrzehnte nach dem Asbest-Verbot steigen die Todesfälle weiter an. Der Bundesrat erläuterte nun, welche Hürden bei der Erkennung von Asbestfolgen bestehen.

    image

    Unispital Basel beschafft Datenplattform bei Swisscom

    Der Auftrag umfasst knapp 17 Millionen Franken. Kein anderer Anbieter habe die Eignungskriterien erfüllt, erklärt das USB die freihändige Vergabe.

    image

    «Der Numerus Clausus muss weg»

    Seit Jahren fordern Ärzteverbände und Politiker die Abschaffung des NC. Nun könnte es sich konkretisieren.

    image

    Glarus prüft Ambulatorium auf dem Areal des Kantonsspitals

    Damit soll das KSGL effizienter werden – und nebenbei noch Mieteinnahmen erzielen.

    image

    Ein beruhigendes Signal für die Region Zofingen – oder doch nicht?

    Die KSA-Gruppe hat nun die Leitung des Spitals Zofingen per Inserat ausgeschrieben. Die Kantonsregierung drängt aber darauf, dass «verschiedene Optionen» geprüft werden.

    Vom gleichen Autor

    image

    So funktioniert die Sterbehilfe in Europa

    In mehreren Ländern Europas ist die Sterbehilfe entkriminalisiert worden. Ein Überblick.

    image

    «Genau: Das Kostenwachstum ist kein Problem»

    Für FMH-Präsidentin Yvonne Gilli ist klar: Es braucht Kostenbewusstsein im Gesundheitswesen. Aber es braucht keine Kostenbremse-Initiative.

    image

    «Kein Mensch will Rationierungen»

    Für Santésuisse-Präsident Martin Landolt würde die Kostenbremse-Initiative nicht zu Qualitätsverlust führen. Solange die Bundespolitik ihre Hausaufgaben macht.