Was ist das deutsche «Ärzte-Siegel» wert, das die «Top-Mediziner» des Landes und die «empfohlenen Ärzte in der Region» auszeichnet? Nichts, es sei irreführend und wettbewerbswidrig, kommt das Landesgericht München zum Schluss. Und zwar kritisieren die Richter den Verlag, der das Siegel vergibt, heftig.
Ärzte werden nicht neutral geprüft
Das Gütesiegel erwecke den Eindruck, dass die Ärzte neutral geprüft worden seien, etwa so, wie das beim Prüfsiegel der Stiftung Warentest der Fall sei. Doch die Qualität ärztlicher Dienstleistungen lasse sich nicht mit Messgeräten im Testlabor ermitteln und vergleichen.
Deshalb stütze sich der Verlag auf subjektive Einschätzungen, etwas auf die Empfehlung von Kollegen oder die Patientenzufriedenheit. Genau das führe die Patienten aber in die Irre, weil sie vom Siegel eine objektive Qualitätsprüfung erwarten würden.
Kollegen urteilen über Kollegen
Vergeben wird das Ärzte-Siegel vor allem aufgrund von Selbstauskünften und von Befragungen der Kollegen. Letztere erledigt ein Umfrage-Institut, das von Oberärzten und niedergelassenen Fachärzten wissen will: «Wohin schicken Sie Ihre Patienten?» Und: «Welcher Kollege leistet in seinem Fachgebiet sehr gute Arbeit?»
Diese gegenseitige Beurteilung unter Mediziner-Kollegen findet der Verlag nicht problematisch, sondern lobt sogar: «Die sogenannte Peer-Review gilt in der Wissenschaft als besonders zuverlässige Methode.» Gemäss eigenen Angaben empfiehlt der Verlag rund 4’200 Mediziner aus 122 Fachbereichen als «Top-Mediziner».
Nur wer zahlt, wird aufgenommen
Doch so objektiv ist die Auswahl wohl nicht. Wer das Siegel will, muss zahlen. Nur wer 2000 Euro pro Jahr Gebühr entrichtet, erscheint auf der Ärzteliste des Verlags und darf in der Praxis oder auf der Website mit dem Siegel werben.
Diese Einnahmen will sich das Magazin wohl kaum entgehen lassen. So konterte der Chefredaktor von Focus-Gesundheit das Urteil auch umgehend: Es sei falsch. Die Ärzte-Empfehlungen und das damit verbundene Siegel seien eine wertvolle Orientierungshilfe. Der Verlag habe eine fundierte, neutrale und objektiv angewendete Methodik zur Beurteilung entwickelt.
«Wertigkeit ungebrochen hoch»
Voller Überzeugung schreibt der Chefredaktor: «Wenn Mediziner Auskunft geben auf die Frage, von welchem Arzt sie sich selbst behandeln lassen würden, so dürfte ausser Zweifel stehen, dass es sich hierbei um eine höchst aussagekräftige Quelle zur Qualitätsbeurteilung handelt.» Und weiter: «Die Wertigkeit und Aussagekraft des Siegels sind ungebrochen hoch.»
Verwendung noch zulässig?
Weil der Verlag Berufung gegen das Urteil eingelegt hat, ist es noch nicht rechtskräftig. Vorerst müssen jene über 4000 Ärzte und Ärztinnen, die das Siegel erworben haben, noch nicht darauf verzichten. Sollte das Urteil aber bestätigt werden, darf die Auszeichnung nicht mehr als Werbung verwendet werden.
Wie aussagekräftig ist ein Spitalranking?
Nicht nur der deutsche Focus-Verlag, auch andere Zeitschriften vergeben Gütesiegel und machen Ranglisten. Etwa die US-Zeitschrift «Newsweek»: Sie veröffentlicht seit 2019 «The World’s Best Hospitals», eine Rangliste der weltbesten Spitäler.
Medinside berichtet jeweils darüber, weil Schweizer Spitäler jeweils sehr gut platziert sind.
Gleichzeitig macht Medinside aber auch darauf aufmerksam, dass die Rangliste weder vollständig noch objektiv ist, und legt offen, nach welchen Kriterien sie erstellt wird.