In England fordert eine Gruppe von Public-Health- und Präventiv-Medizinern, dass entschlossener gegen die «Cyberchondria» vorgegangen wird. Es handle sich um ein ernstzunehmendes und vor allem wachsendes Problem.
Konkret: Im Rahmen einer breiteren Studie über Verhaltensweisen von Patienten empfahlen die Wissenschaftler des Imperial College und des King’s College in London, dass wir diese Fälle nicht länger übersehen – sondern spezifische Therapien entwickeln und einsetzen.
Aufgrund diverser Studien kam das Team um den Psychiater Peter Tyrer zum Schluss, dass sich etwa einer von fünf Patienten in den englischen Ambulatorien wegen «health anxiety» selber eingewiesen habe – wegen einer Angst, die dazu führt, dass man seine Gesundheit übermässig beobachtet.
Wer sucht, der findet Schlimmes
Das Phänomen kannte man bekanntlich schon im Vor-Internet-Zeitalter. Aber auch wenn keine Zahlen vorhanden sind, so vermuten doch diverse Experten, dass es sich nun digital ausbreitet: Aus
Hyperchondrie wird Cyberchondrie. Denn wer Symptome googelt, findet sie auch und wird eher beunruhigt.
«Durch die einfache Erreichbarkeit im Internet fühlen sich mehr Menschen verpflichtet, sich über ihre Gesundheit zu informieren, und sie werden dazu sogar durch Gesundheitsexperten ermutigt»,
sagt Peter Tyrer. «Das Problem ist nun, das die Symptome der Angst um die Gesundheit fehlinterpretiert werden als Symptome der beschrieben Krankheit selber. Die Patienten gelangen zu Ärzten, welche dann nach einer physischen Diagnose suchen, aber die geistige Ebene des Problems ignorieren.»
In England vermutete eine der Studienautorinnen, die Gesundheitsökonomin Barbara Barret vom King’s College, dass das Phänomen das NHS-System mindestens 420 Millionen Pfund pro Jahr kostet – also weit über eine halbe Milliarde Franken.
Und das sei noch nicht alles: Die Zahl umfasse lediglich die ambulanten Arztbesuche. Hinzu kämen beispielsweise noch anschliessende Labortests oder bildgebende Verfahren.
250 Millionen in der Schweiz?
Die stolze Geldsumme wäre allerdings ins Verhältnis zu setzen zu den Gesamtkosten, und die liegen im NHS-System bei 116 Milliarden Pfund. Umgerechnet auf die hiesigen Zustände wären wir also bei vielleicht 250 Millionen Franken, die sich (theoretisch) herauspressen liessen, wenn unnötige Arzt-, Ambulatoriums- oder Notfallbesuche aus purer Furcht wegfallen würden.
Um eine Lösung zu finden, nahmen die erwähnten Forscher eine Gruppe von 444 Personen, die gemäss einer persönlichen Befragung verstärkt unter health anxiety litten. Die Personen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die einen erhielten eine normale ärztliche Betreuung und Behandlung, die anderen bekamen sechs Beratungssitzungen in einer Kognitiven Verhaltenstherapie – wobei ihre Ärzte über den Zustand und das Vorgehen unterrichtet waren.
Nach einem Jahr, so der Bericht, hatten sich die Ängste bei allen behandelten Patienten abgeschwächt, wobei auch Depressionssymptome tendenziell rückläufig waren. Eine Wirkung konnte, wenn auch abgeschwächt, nach fünf Jahren noch nachgewiesen werden. Besonders signifikant waren die positiven Resultate bei den Patienten kardiologischer Kliniken.