Antibaby-Pille direkt vom Apotheker: Warum nicht?

Für die Pille braucht es kein Rezept mehr – und mit einem einzigen Apothekenbesuch können die Frauen einen ganzen Jahresbedarf erhalten: Mit neuen Gesetzen wagen zwei US-Bundesstaaten einen Kurswechsel. Wie kam das? Was bedeutet das?

, 4. Januar 2016 um 09:00
image
  • gynäkologie
  • medikamente
  • apotheken
Der US-Bundesstaat Oregon gehörte schon mehrfach zu den Vorreitern im Gesundheitsbereich. So führte er früh eine umfassende Krankenversicherung ein, und er schuf in einem weltweit beachteten Experiment ein Modell zur Rationierung der Medizin. Nun startet ein neues, ebenfalls weitherum beachtetes Experiment: Frauen, die ein hormonelles Verhütungsmittel wünschen, brauchen im Westküsten-Staat seit Jahresbeginn kein ärztliches Rezept mehr. Es genügt, wenn die Pille in der Apotheke verschrieben wird.
Vor allem: Dies könnte erst ein Anfang sein. Kalifornien hat ein ähnliches Gesetz bereits beschlossen; es dürfte im März endgültig in Kraft treten. Und weitere US-Bundesstaaten dürften folgen. Auch im Bundesparlament in Washington sind zwei Senatsvorstösse hängig, die einen OTC-Verkauf von Hormon-Verhütungsmitteln fordern.

Konservative trafen sich mit Liberalen

Irgendwie erinnert der Schritt an den hiesigen Trend, dass Apotheker vermehrt auch Impfungen in Eigenregie durchführen können: Da trifft sich der Wunsch nach guter Impf-Durchdringung mit dem Zwang zu Kosteneinsparungen sowie einer allgemeinen Tendenz, Aufgaben von den Medizinern weg-zuverlagern. In Oregon ging es aber zuerst einmal um etwas anderes: Man wollte etwas gegen ungewollte Schwangerschaften unternehmen.
Initiiert wurde die Gesetzesänderung vom republikanischen Abgeordneten Knute Buehler, einem Arzt, der sich vom erleichterten Zugang zu Verhütungsmitteln eine Senkung der ungeplanten Schwangerschaften um bis zu einem Viertel erhofft.
In diesem gesellschaftspolitischen Anliegen trafen sich (konservative) republikanische Abgeordnete und die in Oregon traditionell eher stärkeren (liberalen) demokratischen Volksvertreter. Hinzu kam, dass auch die Krankenversicherer die Lockerung unterstützten – und die Apotheker sowieso. 

Die Weltkarte: Wo bekommt man die Pille unter welchen Bedingungen? 

Die Gegner wandten ein, dass damit auch die Zahl der Vorsorge-Untersuchungen sinken werde – was in der Debatte wiederum zum Gegenargument führte, hier würden zwei verschiedene Probleme beziehungsweise Anliegen unstatthaft vermischt.
Am Ende stimmte das Parlament in Salem der so genannten House Bill 2879 sonnenklar zu: Das Stimmenverhältnis lag bei 50 zu 10. Obendrein wurde die Umsetzung so ausgestaltet, dass ein einmaliger Apothekenbesuch genügt, um einen ganzen Jahresbedarf an Antibaby-Pillen zu erhalten.

Gewisse Grenzen

Der Trend ist umso bemerkenswerter, als die Pille im christlich(er) geprägten Amerika mit zusätzlichen Widerständen zu kämpfen hat: So steht es den Apothekern in den meisten Bundesstaaten frei, den Verkauf von Kontrazeptiva aus moralischen oder religiösen Gründen zu unterlassen.
In Oregon (und fast identisch auch in Kalifornien) bauten die Gesetzgeber aber auch gewisse Grenzen ein:

  • Apotheker dürfen die hormonellen Verhütungsmittel rezeptfrei nur an Frauen abgeben, die mindestens 18 Jahre alt sind.
  • Frauen, die unter 18 sind, müssen den Nachweis erbringen, dass ihnen zuvor einmal ein Pillen-Rezept von einem Arzt ausgestellt wurde.
  • Die Frauen müssen vor Ort einen Fragebogen zu ihrer Gesundheit ausfüllen.
  • Die entsprechenden Apotheker müssen einen Weiterbildungskurs absolviert haben.

Mehr / Quellen:


Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Medikamente erstmals grösster Kostenblock in der Grundversicherung

Erstmals liegen die Ausgaben über 9 Milliarden Franken. Mehrere Faktoren spielen hinein: teure Neueinführungen, Mengenausweitung, zusätzliche Indikationen, höherer Pro-Kopf-Verbrauch.

image

Antibiotika in der Schweiz: Rückgang mit Ausnahmen

Von 2015 bis 2022 sank der Antibiotikaverbrauch in der ambulanten Versorgung deutlich. Doch nicht alle Fachrichtungen zeigen den gleichen Trend.

image

Bürokratie-Fiasko beim Zugang zu Medikamenten

Eine internationale Studie zeigt: Bürokratie ist in der Schweizer Gesundheitsversorgung ein grosses Problem. Gleichzeitig erschweren veraltete Prozesse den Zugang zu innovativen Medikamenten. Lösungen lägen auf dem Tisch – doch die Politik droht, die Situation noch zu verschlimmern.

image

EU gibt Novartis grünes Licht für Kisquali gegen Brustkrebs im Frühstadium

Der Wirkstoff Ribociclib soll insbesondere Patientinnen helfen, bei denen das Risiko besteht, dass sie einen Rückfall erleiden.

image

Antibiotika-Therapie: In Praxen und Kliniken immer noch suboptimal

In Baden-Württemberg erforschte man den Antibiotika-Einsatz in zehn Spitälern. Heraus kam ein halbes Dutzend heikler Punkte.

image

In Bern steht die Selbstdispensation wieder zur Debatte

Der jahrelange Konflikt zwischen Apothekern und Ärzten könnte in eine neue Runde gehen: Eine kantonale Motion fordert, dass künftig alle Arztpraxen Medikamente verkaufen dürfen.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.