KI: Revolution in der Medizin

Der Daten-Analytiker Dr. Alexander Ciritsis ist überzeugt, dass künstliche Intelligenz (KI) eine industrielle Revolution einläuten wird. Im Interview erzählt er, wo er das grösste Potential sieht.

, 23. April 2019 um 10:00
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Dr. Alexander Ciritsis ist Medizinphysiker und Datenanalytiker in der Abteilung für Diagnostik und interventionelle Radiologie des Universitätsspitals Zürich. Er ist auf Lernalgorithmen für medizinische Bilddaten spezialisiert.
Herr Ciritsis, wird künstliche Intelligenz bald Ärzte und insbesondere Radiologen ersetzen? Ich denke nicht, dass KI in irgendeiner Weise Ärzte und in diesem speziellen Fall Radiologen ersetzen wird. Möglicherweise wird KI aber jene Ärzte und Radiologen ersetzen, die keine KI nutzen und in ihren täglichen Arbeitsprozess integrieren. In der Radiologie erleben wir aktuell eine Revolution und es gilt, Schritt zu halten.
Wo sehen Sie derzeit das grösste Potenzial für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medizin? Das Potential liegt darin, dass man mit KI sogenannte «tedious tasks», also nervige und zeitraubende Routinearbeiten, dem Radiologen erleichtern und abnehmen kann. Gleichzeitig können Workflows verbessert und standarisiert werden. Damit könnten enorm Zeit und Kosten gespart werden.
KI hat vor kurzem für Schlagzeilen gesorgt, nachdem ein Dermatologe eine Studie veröffentlichte, in der KI bessere Hautkrebsdiagnosen lieferte als der Arzt…Ich glaube nicht, dass das Potential von KI darin liegen wird, dass man automatisch den Krebs erkennen, klassifizieren oder segmentieren kann. Diese Arbeit wird dem Radiologen weiterhin erhalten bleiben. Möglicherweise führt KI bei der Krebserkennung sogar zu einem Mehraufwand für den Radiologen. Selbst wenn der Computer Krebs erkennt, braucht es den Fachmann, der einerseits die Aufnahme normal, andererseits das Ergebnis der KI interpretiert. Künstliche Intelligenz wird die Diagnose des Facharztes nicht ersetzen.
KI wird sich in der Krebsdiagnose also nicht durchsetzen? Krebs als Krankheit hat zu viele Gesichter, um standardisierbar zu sein. Deshalb wird die Frage ‹Krebs – ja oder nein?› so im Leben auch nicht gestellt. Aus diesem Grund sollte auch eine Software nicht mit dieser Fragestellung beauftragt werden.
China strebt eine Vorreiterrolle im Bereich der künstlichen Intelligenz an. Wo steht die Schweiz derzeit? Im Moment herrscht noch viel Unwissen darüber, was mit KI alles möglich sein wird und wie sie optimal genutzt werden kann. Gleichzeitig zeigt sich ein grosser Pioniergeist und es wird viel ausprobiert. Manches wird Sinn machen, anderes weniger. Da wird sich in Zukunft noch viel «Spreu vom Weizen» trennen.
Wo sehen Sie die grössten Problemstellungen? Ein allgemeines Problem ist derzeit, dass jede Institution ihre eigenen Datensätze hat und mit diesen trainiert. Jeder befindet sich in seiner institutionellen Blase, in der soweit alles klappt. Es wird Zeit, dass diese Datensätze allgemeingültig werden.
b-rayZ ist ein Spin-off des Universitätsspitals Zürich (USZ), das KI Lösungen für ökonomisch nachhaltige Qualitätskontrollen und Standardisierung von Verfahren in der Mammographie entwickelt. Ihr Ziel: Radiologen, einen effizienteren Workflow mit niedrigeren Betriebskosten zu ermöglichen.
Stichwort Daten. Um einen Algorithmus zu erstellen, braucht ausgewogene Datensätze. Ein schwieriges Unterfangen, oder? In der Tat haben wir heute das Problem, dass wir zu viele unausgewogene Daten haben. Im Spital summieren sich die Bilder von kranken Menschen, von Gesunden hingegen gibt es kaum Daten. Dadurch erhält der Algorithmus eine Verzerrung und fokussiert sich darauf, etwas Krankhaftes zu finden. Ich fände es deshalb sinnvoll, wenn in Zukunft eine Datenspende für die Forschung möglich wäre.
Sie sind Mitgründer des USZ Spinnoffs b-rayZ, welches Analysewerkzeuge und -Algorithmen für die Beurteilung medizinischer Bilder entwickelt. Was braucht es, um einen funktionierende KI zu bauen? Es braucht einerseits einen möglichst standardisierten Datensatz und andererseits die richtige Fragestellung. Hier stehen wir denn auch vor der grössten Herausforderung. Denn, in einem Röntgen-, Ultraschall- oder CT Bild stecken unglaublich viele Antworten, das Problem ist jedoch, dass man die Fragen oft nicht kennt. Diese «richtigen» Fragestellungen zu entwickeln, gehört zu unseren Kernthemen. Damit man einen Algorithmus entwickeln kann, der die Ärzte im Alltag tatsächlich unterstützt, muss man die internen Prozesse und Betriebsabläufe verstehen. Deshalb sehe ich es auch eher kritisch, dass sich immer mehr grosse Firmen an der Entwicklung von KI in der Medizin beteiligen.
Der von Ihnen entwickelte KI Algorithmus zur Klassifizierung von Läsionen im Brustgewebe mittels Ultraschall Bildern, hat grosse Wellen in der Radiologie-Welt geworfen. Erzählen Sie… In unserer neuesten Studie konnten wir einen Algorithmus trainieren, der erfolgreich eine Klassifizierung verschiedener Läsionen im Brustgewebe vornimmt. Dabei haben wir versucht, den menschlichen Entscheidungsvorgang nachzuempfinden und dem Algorithmus den gleichen Klassifizierung- Katalog zu Grunde gelegt wie ihn der Mensch benutzt. (BI-RADS Kategorisierung). Die entwickelte KI funktioniert mit Hilfe dieses Vorgehens sehr robust und zuverlässig, auch bei Daten, die nicht von unserem Institut stammen. Zusätzlich haben wir bereits in einer davor durchgeführten Studie einen Algorithmus entwickelt, welcher der Klassifizierung der Brustgewebsdichte dient. Dieser stellt dabei keine Diagnose, sondern nimmt lediglich eine Klassifizierung in A, B, C oder D vor. Dieses Raster wird weltweit von Radiologen verwendet, um die Dichte des Brustgewebes zu kategorisieren, welches einen wichtigen Faktor für das Brustkrebsrisko darstellt.
In einer Studie des UniversitätsSpitals Zürich (USZ) wurde gezeigt, dass Cyberkriminelle in Zukunft auch versuchen könnten, radiologische Bilder zu manipulieren. Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein? Ein Grund zur Sorge besteht heute nicht. Es ist jedoch wichtig, dass die medizinische Fachwelt sowie Hard- und Softwareanbieter das Bewusstsein für Cyberattacken haben und die notwendigen Anpassungen vornehmen. Das Problem muss angegangen werden, solange es noch theoretisch ist.
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