Nach dem Corona-Gipfel leben Senioren nun länger als zuvor

Covid-19 hat nicht nur weit weniger Tote gefordert als ursprünglich befürchtet. Alte Menschen leben derzeit sogar länger.

, 6. August 2020 um 14:47
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Nach der Corona-Pandemie sind Schweizer Senioren nun ungewöhnlich lebensfreudig. Das zeigt die neuste Sterblichkeitsstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS).  Noch vor drei Monaten, als Covid-19 in der Schweiz am heftigsten wütete, starben in einer Woche über 500 Personen mehr als im langjährigen Durchschnitt zu erwarten gewesen wäre.

Die Schweiz ist derzeit «untersterblich»

Nun ist es ganz anders: Besonders die Über-65-Jährigen erfreuen sich des Lebens. Pro Woche sterben 125 alte Menschen weniger als die Statistik der vergangenen Jahren erwarten lassen würde (siehe Grafik weiter unten). Das heisst: Die Sterbezahlen der Schweiz liegen so tief wie schon lange nicht mehr.
Oder anders gesagt: Die Senioren, welche Covid-19 überlebt haben, leben nun länger. Solche tiefen Sterbezahlen herrschen bereits seit mehreren Wochen. Immer häufiger werden nun aber auch kritische Stimmen laut: Die Schweiz habe völlig übertrieben auf Covid-19 reagiert.

«Am» oder «mit» dem Coronavirus gestorben?

Diese These ist jedoch aus zwei Gründen nicht haltbar. Denn erstens weiss niemand, was ohne die Massnahmen passiert wäre. Und zweitens wird über die effektive Zahl der Covid-19-Todesfälle heftig gestritten. Denn es ist ein Unterschied, ob Menschen «am» oder «mit» dem Coronavirus gestorben sind. 1700 Covid-19-Todesfälle sind beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) derzeit offiziell registriert.
Würde man konsequent alle Verstorbene auf das Virus testen, könnte die Statistik schnell höhere Zahlen aufweisen. Umgekehrt muss aber auch gesagt sein: Die Zahlen könnten auch tiefer sein, wenn man die Toten mit positivem Corona-Test obduzieren und die tatsächliche Ursache des Todes feststellen würde. Denn Infizierte müssen nicht an Covid-19 gestorben sein. Sondern vielleicht an einem Schlaganfall oder einer Hirnblutung.

«Übersterblichkeit» sagt mehr aus

90 Prozent der Covid-19-Verstorbenen waren älter als 70 Jahre. Die meisten von ihnen litten bereits an einer oder mehreren Vorerkrankungen. Die Todesursache kann also durchaus auch eine dieser Vorerkrankungen sein.
Wegen dieser Unsicherheiten ziehen Fachleute die Zahlen der oben genannten wöchentlichen Durchschnittssterberaten heran. Dieser Mittelwert wird über mehrere Jahre hinweg errechnet und berücksichtigt auch die Jahreszeit und die Bevölkerungsentwicklung.

Nicht mehr ältere Personen gestorben als erwartet

Sterben beispielsweise wie 2015 wegen einer heftigen Grippesaison besonders viele Menschen, lässt sich das dann an der so genannten Übersterblichkeit ablesen. Doch überraschenderweise sind die Menschen über 65 Jahre derzeit so lebensfreudig, dass dieses Jahr unter dem Strich gar nicht mehr Menschen gestorben sind als rein statistisch zu erwarten gewesen wäre.
Das ist ein Hinweis darauf, dass von den rund 1700 offiziellen Covid-19-Toten vermutlich nur ein Teil tatsächlich «an» Covid-19 gestorben ist und die übrigen wohl eher «mit» der Virusinfektion. Interessant ist auch der Vergleich mit dem heftigen Grippejahr 2015: Damals lag die Übersterblichkeit im ersten Halbjahr bei etwa 1300 Personen, das sind rund 300 Todesfälle mehr als 2020.

War die Stilllegung unnötig?

Auf den ersten Blick könnte dieser Vergleich tatsächlich zur Annahme verleiten, dass die ganze Corona-Krise doch gar nicht so schlimm war. Und dass die Stilllegung des öffentlichen Lebens in der Schweiz übertrieben war. Doch diese Argumentation greift zu kurz.
Denn vermutlich starben in der Schweiz gerade deswegen so wenig Menschen, weil sehr schnell und drastische Massnahmen ergriffen worden sind. Bedenken muss man nämlich, dass im Grippejahr 2015 der Bundesrat keinerlei Einschränkungen verordnete, welche den Verlauf der damaligen Grippe abdämpften.
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So sieht die derzeit aktuelle Statistik der wöchentlichen Todesfälle aus: Nach der «Corona-Spitze» bei den Über-65-Jährigen Anfang April liegen die Todesfallzahlen nun unter dem Durchschnitt. | Bundesamt für Statistik, BFS
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So sah die Sterblichkeitskurve im Grippejahr 2015 aus: Sie stieg weniger steil an, als im Coronajahr 2020. Dafür dauerte es länger, bis sie wieder abflachte. | Bundesamt für Statistik, BFS

Steiler als im Grippejahr 2015

Der Vergleich der beiden Grafiken 2015 und 2020 zeigt auch, dass die Sterblichkeitskurve bei den Über-65-Jährigen dieses Jahr deutlich steiler und damit schneller anstieg als vor fünf Jahren. Ein Hinweis darauf, dass es sich bei Covid-19 nicht um eine «harmlose Grippe» handelte.
Dass die Kurve dieses Jahr ebenso steil wieder zurückging, könnte die Auswirkung der Massnahmen sein. Sie wirkten offenbar schnell und effizient. Im Grippejahr zogen sich die Erkrankungen hingegen zäher und länger dahin. Während zweier Monate gab es übermässig viele Todesfälle. Und im Sommer starben erneut viele ältere Menschen. Denn der Sommer 2015 war besonders heiss.
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