Einzelleistungstarif oder (differenzierte) ambulante Pauschalen? Oder beides? Diese Frage treibt die Branche seit Monaten um. Die grossen Versicherer CSS, Helsana, KPT und Sanitas und der Ärzteverband FMH haben dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) gemeinsam das neue Tarifwerk Tardoc
vor zwei Jahren unlängst zur Genehmigung vorgelegt. Dabei steht zusätzlich mit Swica die Mehrheit der Versicherer hinter dem zeitgemässen Tarif. Es folgten Pirouetten: Prüfungen, grundsätzliche Fragen vom BAG, Nachbesserungen, erneute Prüfungen und weitere Fragen. Obwohl die materiellen Voraussetzungen für die Genehmigung längst erfüllt sind, ist und bleibt der Stand der Dinge weiter unklar.
Auf der Zielgeraden ist die lange Wartezeit ohne verbindliche Fristen stossend, sagt Pius Zängerle vom Krankenkassenverband Curafutura in einem Interview mit der «Schweizerischen Ärztezeitung». Auch Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel überlegt sich, ob es richtig sei, dass die Behörden einen Arzttarif genehmigen müssten und ihnen dafür keine Frist gesetzt werde. Gerade bei einem solch grossen und wichtigen Projekt, das auch in der Umsetzung anforderungsreich ist, wären klare Fristen für die Planbarkeit wichtig, wie die Nationalrätin im gleichen Interview sagt.
Das BAG funktioniere wie ein Orakel
Die Behörde unter Bundesrat Alain Berset funktioniere wie ein Orakel, fügt Zängerle hinzu. «Zu wichtigen Fragen sagen sie nichts oder nichts Substantielles.» Es gebe vonseiten der Behörden zum Beispiel keine verbindlichen Aussagen zur Kostenneutralität. Es sieht gemäss Zängerle so aus, dass die Tarifpartner sieben Jahre an einem Tarif arbeiten, und dann geschieht die Genehmigung unstrukturiert und brauche zwei, drei, vielleicht aber auch fünf Jahre. So könne es sein, dass der Arzttarif schon bei der Einführung nicht mehr aktuell sei.
Pius Zängerle und auch FMH-Zentralvorstandsmitglied Urs Stoffel scheinen frustriert zu sein. Denn das Beispiel Tardoc zeigt, dass die Tarifpartnerschaft nach jahrelanger Blockade eben doch funktionieren kann. Doch wegen der Unsicherheiten lohne sich das Arbeiten, die Kompromisse und das Verhandeln eventuell nicht. Zängerle: «Verlässliche Rahmenbedingungen gehören darum zu den Aufgaben des Staats und der Politik, damit es sich lohnt, auch in Verhandlungen zu investieren.»
Will das BAG taktisch auf Pauschalen zuwarten?
Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel nimmt zudem ziemlich erstaunt zur Kenntnis, dass Ängste und Befürchtungen existieren, der Tardoc würde zurückgestellt, bis ambulante Pauschalen vorliegen. Der neue sachgerechte und zeitgemässe Arzttarif darf ihr zufolge aber «sicher nicht» mit noch nicht vorliegenden ambulanten Pauschalen verknüpft werden. «Das würde die Blockade weiterführen.»
Pauschalen, die den Verbänden H+, Santésuisse und den Chirurgen von Fmch vorschweben, liegen zudem nicht nur noch nicht vor, sondern stehen auch erst am Anfang der Diskussion. Für Pius Zängerle von Curafutura bestehen zwar Zusammenhänge zwischen dem Tardoc und Pauschalen, aus Zusammenhängen dürfe man aber keine Abhängigkeiten machen, warnt er.
Pauschalen decken weniger als 10 Prozent ab
Gerade in der Grundversorgung gibt es darüber hinaus sehr viele Leistungen, die sich nicht pauschalisieren lassen,
wie Urs Stoffel im Interview ergänzt. Eine Leistenbruch-OP bei einem 20-Jährigen und eine bei einem 80-Jährigen seien beispielsweise nicht vergleichbar. Und heute liegen nur Pauschalen vor, welche weniger als 10 Prozent des ambulanten Volumens abdecken. Sein Fazit: Die Voraussetzung für eine sachgerechte und faire Pauschale sei ein ausgewogener, sachgerechter und betriebswirtschaftlicher Einzelleistungstarif. Doch trotz Nachbesserungen scheint das BAG kein grosses Interesse zu haben, Tardoc wie angestrebt mit Vorlauf auf den 1. Januar 2022 in Kraft zu setzen.