Tödlicher Test in Rennes: Ein Betroffener packt aus

Im Januar ist bei einem klinischen Versuch in Frankreich ein Mensch gestorben. Ein 42-jähriger Proband schildert nun erstmals seine mehrtägige Tortur.

, 1. März 2016 um 11:00
image
  • studie
  • forschung
  • rennes
  • ärzte
  • spital
Vor knapp zwei Monaten kam es im französischen Rennes am Forschungs-Institut Biotrial bei einem klinischen Versuch zu schweren Zwischenfällen. Beim Phase-1-Test für ein neues Medikament gegen Schmerzen und Angst verstarb kurz darauf eine Testperson.
Erstmals spricht einer der insgesamt acht Probanden über das Experiment. Er spricht, weil er wütend sei, sagt er der französischen regionalen Tageszeitung «Le Maine Libre» (Print). Die Wut von Stéphane Fléchois richtet sich an die Verantwortlichen von Biotrial. «Sie weisen im Fernsehen die ganze Schuld von sich».
Eine Frage treibt Fléchois besonders um: Warum hat das Experiment noch einen Tag angedauert, obwohl das erste Opfer bereits im Krankenhaus war?

«Ich konnte nicht mehr sprechen»

Im Interview umreisst der 42-Jährige chronologisch seine Tortur. Die französischsprachige Zeitung «Le Matin» fasst diese zusammen:

  • 7. Januar: Beginn der Behandlung: Eine Gruppe von acht Freiwilligen nehmen ein Medikament ein, das Schmerzen und Angst lindern soll. Zwei davon bekommen ein Placebo.
  • 10. Januar: Der erste Patient wird ins Krankenhaus eingeliefert. Er stirbt am 17. Januar.
  • 11. Januar: Bei Stéphane Fléchois treten die ersten Kopfschmerzen auf. Ärzte verabreichen ihm Paracetamol (Doliprane).
  • 12. Januar: Sein Zustand verschlimmert sich. Stéphanes Augenlidern sind jetzt dunkel. Ein Arzt gibt ihm Eis und weiter Paracetamol.
  • 13. Januar: Fléchois kann nichts mehr sehen. Hinzu kommt starker Schwindel. Duschen ist für ihn unmöglich. Er fällt das erste Mal um. Man verlegt ihn in die Universitätsklinik von Rennes. Dort entdecken die Ärzte im MRI Blutflecken und weisse Flecken in seinem Gehirn.
  • 14. Januar: Sein Zustand verschlechtert sich noch mehr. Er kann nicht mehr sprechen, sich nicht mehr bewegen, nicht mehr sitzen. Die Ärzte raten seiner Partnerin, die Kinder zu holen. «Man weiss nie», sagen sie.
  • 15. Januar: Eine andere Behandlung schlägt an – zum Erstaunen der Ärzte, wie Fléchois berichtet. Er hat Glück. Die Ärzte sprechen von einem «Wunder». 

«Man hat uns nicht die ganze Wahrheit erzählt»

Der 42-Jährige leidet zwei Monate später noch immer an neurologischen Folgeerscheinungen: Schwindel, Unwohlsein. Er könne nicht mehr als zehn Minuten stehen. Und er sieht noch immer doppelt. Die Ärzte hoffen, dass es in sechs Monaten oder in einem Jahr vorbei sei. «Aber sie sind sich nicht sicher».
Hätte er vorher gewusst, dass Hunde in präklinischen Studien diese Versuche nicht überlebt hatten, dann hätte er auch nie unterschrieben. «Sie haben uns nicht die ganze Wahrheit gesagt». Für 1’900 Euro hätte er sein Leben niemals riskiert, so Fléchois. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Alzheimer-Prävention am Steuer? Navigieren könnte das Gehirn schützen

Ambulanz- und Taxifahrer sterben seltener an Alzheimer als andere Berufsleute. Dies lässt ahnen, dass das richtige Training vorbeugend wirkt.

image

«Es ist unglaublich. Parallelen zum Fall der CS sind offensichtlich»

Die Insel Gruppe meldete zuletzt viele Verbesserungen. Aber für den Berner Gesundheitsökonomen Heinz Locher ist die Krise sehr fundamental: Er spricht von «multiplem Organversagen». Das Interview.

image

Zukunftsvisionen für die Gesundheitsversorgung

Beim Roche Forum 2024 diskutierten Expertinnen und Experten zentrale Herausforderungen der Schweizer Gesundheitsversorgung und setzten wertvolle Impulse für die Zukunft.

image

Kantonsspital Baden: Petition für Teuerungsausgleich

Gute ein Drittel des Personals unterschrieb die Forderung nach Nachbesserungen in der Lohnrunde.

image

Insel Gruppe: Christian Leumann bleibt bis Ende 2025

Die Suche nach einem neuen CEO stockt. Interims-Direktor Leumann will dazu beitragen, dass kein Zeitdruck entsteht.

image

Nachhaltiger Neubau in Arlesheim: Fast alles aus Holz

Der Neubau der Klinik Arlesheim setzt auf nachhaltigen Holzbau. Mit modernster Architektur und ökologischen Materialien entsteht ein einzigartiges Gebäude, das Gesundheit und Umwelt vereint. Ein Projekt, das für die Zukunft der medizinischen Versorgung steht.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.