Via Google direkt zu Anamnese und Diagnose

Der nächste Schritt der Internet-Medizin zeichnet sich ab: Wer jetzt in den USA «Depression» googelt, kriegt zuerst einen Selbst-Test serviert. Was, wenn dieses Modell bei mehr und mehr Krankheiten zur Regel wird?

, 28. August 2017 um 06:17
image
  • trends
  • google
  • psychiatrie
Google öffnen, «Depression» eingeben – und was kriegt man als Ergebnis? Nicht etwa Verweise auf Wikipedia- oder Lexikon-Einträge oder Fachartikel über die Krankheit; nein, man bekommt einen Fragebogen empfohlen, mit dem man sich gleich selber testen kann: «Check, if you’re clinically depressed». Wer dies tut und dann bestimmte Werte erreicht, erhält den Vorschlag, eine professionelle Diagnose machen zu lassen.
An den Umgang mit Dr. Google haben sich mittlerweile alle gewöhnt. Aber mit diesem Schritt erreicht die Suchmaschine eine neue Stufe im Bereich Anamnese und Diagnose: Sie liefert nicht bloss Informationen zu einer Krankheit (welche der Suchende ja mit einer gewissen Absicht eintippt – nämlich sehr oft, weil er fürchtet, diese Krankheit zu haben…). Sondern sofort liefert Google gleich auch den Test dazu.

Run auf Gesundheits-Informationen

Zumindest in diesem einen Fall. Konkret hat der Suchmaschinen-Riese den PHQ-9-Fragebogen aufgeschaltet, der nach Symptomen einer Depression sucht; allerdings läuft der Versuch erst in den USA, er lässt sich also hierzulande noch nicht durchführen. 


«Wie oft wurden sie in den letzten zwei Wochen vom folgenden Problem geplagt: Wenig Interesse und Freude an Ihren Tätigkeiten?» – so lautet etwa eine Frage, welche dem Google-Sucher vorgesetzt wird. Mögliche Antworten: «Überhaupt nicht», «an mehreren Tagen», «an mehr als der Hälfte der Tage», «fast täglich» (hier eine deutsche Version des PHQ9-Tests).
Das PHQ9-Projekt läuft in Zusammenarbeit mit der National Alliance on Mental Illness der USA, einer Patientenorganisation für Betroffene psychischer Krankheiten.
image
Suchergebnisse und Fragebogen bei der Eingabe von «Clinical Depression» auf Google
Im Hintergrund steht die bekannte Tatsache, dass Health-Informationen immer wichtiger werden bei den Web-Suchen; rund eine von zwanzig Anfragen drehen sich um diesen Themenbereich. Wenn Google nun ohne den Umweg über Informationslieferanten wie Medizin-Sites gleich konkrete Schritte der Anamnese und der Diagnostik auslöst, bietet es dem Publikum natürlich viel direktere Antworten. Und sich viel mehr wirtschaftliche Chancen.

Konkurrenz für Telemedizin

Das heisst auch: Google übernimmt weitere Aufgaben der Ärzte und des medizinischen Fachpersonals. Denn natürlich lässt sich dasselbe Prinzip – mit Abwandlungen – bald für zahlreiche andere Krankheitsbilder anwenden, auch jenseits von Psychologie und Psychiatrie. Vermutlich liessen sich jetzt schon die Inhalte, Gespräche und Abläufe vieler Telemed-Konsultationen so vermitteln beziehungsweise ersetzen.
Und noch mehr ist absehbar: Nämlich dass Google dieses Angebot nicht nur mit der Worterkennung verknüpfen kann (und will), sondern beispielsweise auch mit Bild-Eingaben. Bekanntlich sind AI-Programme in der Lage, Melanome ebenso präzise zu erkennen wie erfahrene Dermatologen; ähnlich verhält es sich bei der Interpretation von EKG- oder MRI-Daten. 
Das Thema in der Twitter-Debatte:
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Deshalb lassen Spitäler keine Drohnen mehr fliegen

Die Schweizer Spitäler haben ihre Drohnentransport-Projekte begraben. Nur das Labor Risch fliegt noch.

image

Der Kanton Zürich mausert sich zum Digital-Health-Standort

Die kantonale Standortförderung listet 120 E-Health-Firmen auf – und meldet dabei ein solides Wachstum. Dies obwohl die Finanzierung im internationalen Vergleich eher mager ist.

image

Grundversorgung: Das möchten die Leute nicht

Mit Kiosken und KI-Diagnostik sollte in den USA das Gesundheitswesen revolutioniert werden. Jetzt wird das Multimillionen-Projekt abgebrochen. Der Fall zeigt: In der Grundversorgung ist menschliche Nähe unersetzlich.

image

In der Rehaklinik üben Patienten mit einer App

Reha-Training mit dem Tablet: In der Klinik Tschugg analysiert der Computer unter anderem die Aussprache.

image

Sätze, die man zu schwerkranken Patienten nicht sagen sollte

«Alles wird gut.» «Kämpfen Sie!» «Was haben die anderen Ärzte gesagt?»: Eine Studie identifiziert Floskeln, die kranke Menschen verunsichern können.

image

Spital Wallis: Neuer Chefarzt Psychiatrie

Michele Marchese kommt vom Sanatorium Kilchberg.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.