«Sie sind grossartig», lobte Simonetta Sommaruga die Schweizer Bevölkerung heute an der Medienkonferenz. Die Corona-Massnahmen wirken. Trotzdem werden sie um eine Woche bis am 26. April verlängert, teilte sie mit. Bundesrat Alain Berset fügte hinzu: Die Situation sei «fragile».
Viele Leute verstehen nicht, warum die Massnahmen nicht langsam gelockert, sondern noch weiter verlängert werden. Der Bundesrat könnte doch zumindest einen Teil der Einschränkungen, die uns seit Wochen behindern, endlich aufheben, denken sich viele.
Würde jetzt schon gelockert, würden die Zahlen wieder ansteigen
Doch er kann nicht. Denn die Erkenntnisse der Epidemiologen zeigen: Würde der Bundesrat zu früh beginnen mit Lockern, würden die Zahlen wieder steigen – und alle bisherigen Anstrengungen wären vergeblich gewesen.
Epidemiologie-Professor Marcel Salathé von der ETH Lausanne sagte kürzlich gegenüber Fernsehen SRF: «Mit mehr als tausend Fällen pro Tag ist das Risiko noch zu hoch. Denn die Gefahr besteht, dass die Zahlen gleich wieder hochschnellen, wenn wir die Restriktionen lockern. Erst wenn die Fallzahlen auf eine tiefe dreistellige – oder noch besser auf eine zweistellige – Zahl gesunken sind, ist eine Lockerung des Lockdowns aus epidemiologischer Sicht zu verantworten.»
Zurück zu Phase eins: Konsequente Rückverfolgung der Fälle
Er stellt sich dabei nicht auf sein Gefühl ab, sondern auf die Statistik. Und die besagt: Erst wenn die Zahl der täglichen Neuansteckungen auf 100 oder tiefer sinkt, ist es möglich, wieder wie zu Beginn der Epidemie jeden Fall zurückzuverfolgen und nicht nur die angesteckte Person, sondern auch die Kontaktpersonen schnellstmöglich in Quarantäne zu schicken.
Diese erfolgreiche Strategie wandte der Bundesrat auch am Anfang an. Doch je mehr Personen sich ansteckten, umso schwieriger wurde es, die Strategie umzusetzen. Schwierig ist die Nachverfolgung auch, wenn Infizierte viele Kontakte hatten.
Am schwierigsten zu kontrollieren sind Grossansammlungen
Deshalb verbot der Bundesrat auch in der ersten Phase schnell einmal Veranstaltungen mit über 1000 Personen. Und deshalb werden solche Grossansammlungen von Menschen - etwa an Konferenzen oder Veranstaltungen - auch bei einer schrittweisen Lockerung der anderen Massnahmen vermutlich dieses Jahr nicht mehr möglich sein – ausser es stünde bereits vorher ein zuverlässiger Impfstoff zur Verfügung.
Herdenimmunität ist unrealistisches Ziel
Warum kehrt der Bundesrat seine Strategie also nicht um und strebt künftig die so genannte «natürliche Herdenimmunität» an, indem er die Ansteckungen zulässt? Dieses Risiko einzugehen wäre ethisch schwer vertretbar, und ausserdem auch rein statistisch gesehen nicht machbar.
Derzeit gibt es in der Schweiz nachweislich rund 24 000 Corona-Infizierte. Geht man von einer hohen Dunkelziffer aus, nämlich dass nur ein Zehntel der Fälle entdeckt werden, gäbe es in der Schweiz 240 000 Infizierte. Herdenimmunität erreichen lässt sich erst, wenn mindestens 60 Prozent einer Gemeinschaft infiziert sind.
Das würde für die Schweiz bedeuten: Es müssten mindestens 4,8 Millionen Einwohner mit dem Virus infiziert und wieder gesund werden. Noch über 4,5 Millionen Menschen müssten also angesteckt werden. Geht man von einer Sterblichkeitsrate von 3,8 Prozent aus, wie sie laut Statista in der Schweiz vorliegt, müsste man 170 000 Tote in Kauf nehmen, bis die Herdenimmunität erreicht wäre.
Vielleicht hilft auch ein bisschen Glück
So weit die Zahlenstatistik. Nun verbreitet sich ein Virus jedoch nicht streng nach statistischen Voraussagen. Derzeit noch unbekannte Eigenschaften des Coronavirus könnten auch neue Chancen eröffnen: Das Virus könnte zum Beispiel in der warmen Jahreszeit weniger ansteckend werden.
Oder es könnte sich zeigen, dass ein Teil der Bevölkerung eine natürliche Immunität aufweist. In diesen Fällen könnten wir Glück haben und müssten nicht ganz so lange in den Beschränkungen ausharren, die uns auferlegt worden sind. Ganz aufschnaufen dürfen wir aber erst, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Bis ein solcher erprobt ist, wird es aber noch eine Weile dauern.